„Als ob ein seltsamer Zwang es ihnen auferlegt hätte. Als ob vor dem Drama bereits etwas Unnennbares sich ereignet
hat. So fängt das Spiel auch an. Von rechts marschiert das Ensemble ein, zwei schleppen einen Stein, ein schwerer, schwarzer Vorhang wird hereintransportiert, Mascha keucht und Semjon schwitzt, als hätte er bereits ein Drama hinter sich. Semjon ist jener Lehrer, den Mascha heiraten wird, obwohl sie ihn ausdrücklich nicht liebt, und der Stein dient als Bühne für jenes die „neuen Formen“ proklamierende Theaterstück, das Konstantin verfasst hat und Nina wiederum spielen wird, indem sie nackten Fußes auf dem Stein balanciert, die Arme gen Himmel wirft, die langen Haare schüttelt und ihrer Stimme eine Tränennähe verleiht, so dass die „neuen Formen“ schwer nach altem Pathos riechen. Irina, Konstantins Mutter, geht das auf die Nerven, ihr Bruder Pjotr bestaunt es stumpf, ihr Geliebter, der Dichter Trigorin, belächelt es und der Arzt weiß nicht, warum es ihm gefällt. Dieses Theater auf dem Theater ist, natürlich, für jede Möwe - Regie die Probe aufs Exempel – an ihr offenbart sich, was neu, was Form, was Theater heißen soll. Bei Jürgen Gosch ist es ein Bekenntnis zum Unfertigen, Schroffen, Brüchigen.“
Nachtkritik
Anton Tschechow
Die Möwe
(Tschaika)
Deutsch von Angela Schanelec
6 D, 4 H
DSE: 20.12.08 · Volksbühne Berlin in Koproduktion mit dem Deutsches Theater Berlin · Regie: Jürgen Gosch