Vier bewegende Romane. Empathisch beleuchten sie verschiedene Facetten des Lebens. Mit klarem Blick helfen sie die Gegenwart besser zu verstehen. Den eigenen Blick zu öffnen und sich, über die Feiertage, in andere Realitäten hineinzubegeben. Wir vertreten die Romane für die Bühne.
Helene Hegemann
Striker (Kiepenheuer & Witsch)
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N wohnt an einer Bahnlinie, die einen Problembezirk mit dem Villenviertel verbindet. Zwei Welten. N kennt beide. Dazwischen die Kampfsportschule, in der sie unterrichtet und sich auf Wettkämpfe vorbereitet. Eines Morgens entdeckt N rätselhafte Zeichen an der Brandmauer gegenüber ihrer Wohnung. Und dann stehen plötzlich Koffer und Tüten vor ihrer Tür. Sie gehören einer jungen Frau, die im Treppenhaus übernachtet und behauptet, mit den Zeichen in Verbindung zu stehen. Wer ist sie? Was will sie von ihr? Und warum beschleicht N bei jeder ihrer Begegnungen das kaum zu bewältigende Gefühl, sich selbst gegenüberzustehen?
In Helene Hegemanns neuem Roman Striker verschwimmen zunehmend die Grenzen zwischen Verschwörungsmythen, Klassenkampf und roher Gewalt. Mit erbarmungloser Eindringlichkeit erzählt sie von N, die sich zwischen Kampfsport, Isolation, Obdachlosigkeit, Reichtum und Verdrängung durchs Leben hangelt. Von dem Moment, in dem die Angst vor Unterdrückung zu Gewalt führt, und der Schwäche, die man zulassen muss, um diese Gewalt zu verhindern.
»Helene Hegemann verbindet diese literarischen Motive des Kampfes und des Doppelgängers zu einem aufregenden, symbolhaften Ganzen.« (SZ)
»Identität ist hier nur noch ein brüchiges Konzept, dessen Unsicherheit sich elegant bis auf die sprachliche Ebene des Buchs durchschlägt.« (FAZ)
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Lena Schätte
Das Schwarz an den Händen meines Vaters (S. Fischer)
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»Motte« wird die Ich-Erzählerin von ihrem Vater genannt. Der Vater ist Arbeiter, Spieler, Trinker. Eigentlich hat Motte sogar zwei Väter: den einen, der schnell rennen kann, beim Spielen alle Verstecke kennt und sich auf alle Fragen eine Antwort ausdenkt. Und den anderen, der von der Werkshalle ins Büro versetzt wird, damit er sich nicht volltrunken die Hand absägt. Und das mit dem Alkohol, sagt die Mutter, war eigentlich bei allen Männern in der Familie so.
Auch Motte trinkt längst mehr, als ihr gut tut. Schon als Kind hat sie beim Schützenfest Kellnerin gespielt und die Reste getrunken, bis ihr warm wurde. Jetzt, als junge Frau, schläft sie manchmal im Hausflur, weil sie mit dem Schlüssel nicht mehr das Schloss trifft. Ihr Freund stützt sie, aber der kann meistens selbst nicht mehr richtig stehen. Nur ihr Bruder, der Erzieher geworden ist, schaut jeden Tag nach ihr. Als bei ihrem Vater Krebs im Endstadium diagnostiziert wird, sucht Motte nach einem Weg, sich zu verabschieden – vom Vater und vom Alkohol.
Das Schwarz an den Händen meines Vaters von Lena Schätte ist ein harter, gleichzeitig sehr zarter Roman über das Aufwachsen in einer Familie, die in schwierigen Verhältnissen lebt und trotzdem zusammenhält, wenn es darauf ankommt.
»(Eine) ganz und gar erstaunliche Schriftstellerin (…), deren Sprache so direkt, dicht und zärtlich ist, wie man das nur sehr selten zu lesen bekommt.« (SZ)
»ungekünstelt und klar (…): Die Stärke ihres Textes liegt in der Ambivalenz.« (FAZ am Sonntag)
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Svealena Kutschke
Gespensterfische (Schöffling & Co. Verlag)
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Wirklichkeit ist nur eine Vereinbarung. Dieser Satz lässt Laura Schmidt viele Jahre nicht los. Es ist das Motto ihrer Mitpatientin Noll, die Laura in den 1990ern in der Lübecker Jannsen-Klinik kennenlernte. Dort hat sich Noll in der psychiatrischen Abteilung mit ihrer Vertrauten Olga Rehfeld lesend, schreibend, zitierend ein Refugium aus Geschichten geschaffen, einen Raum aus Literatur – zum Trost oder als Flucht vor den Abgründen der Vergangenheit? Laura begreift allmählich, dass die Klinik, in der sie selbst Hilfe gefunden hat, für Rehfeld zerstörerisch war.
Svealena Kutschke erzählt mit einem faszinierenden Figurenensemble aus Patient:innen und medizinischem Personal von der Psychiatrie als Ort, an dem tiefe Verwundbarkeit das Menschsein an seine Grenzen führt. Als Ort, der insbesondere während der NS- und Nachkriegszeit zum Einfallstor für Gewalt geworden ist. Als Echokammer deutscher Geschichte. Medizinische Diagnosen, führt Kutschke uns vor Augen, sagen viel über die Gesellschaft aus, in der sie gestellt werden. Und sie fragt danach, ob nicht der psychische Ausnahmezustand eine angemessene Reaktion auf die Zumutungen der Gesellschaft ist. Ein Roman, der wie ein Gespensterfisch in der Tiefsee Licht in die Dunkelheit bringt.
»In Gespensterfische gelingt Svealena Kutschke etwas fast Unmögliches: Sie erzählt in ihrer präzisen, intensiven Sprache von den Abgründen der deutschen Psychiatrie von 1920 bis zur Gegenwart und schreibt zugleich einen so berührenden, komischen, bittertraurigen, aber immer spannenden Roman, den so feine und komplexe Figuren bevölkern, dass man – trotz allem – einfach voller Menschenliebe zurückbleibt.« (Inger-Maria Mahlke)
»Gespensterfische entwirft eine ganze Kosmologie unserer Zeit. In ihrem neuen, bislang besten Buch zeigt Svealena Kutschke, wie Gewalt über Generationen weitergegeben wird, aber auch wie die Kraft des Erzählens Zuflucht bieten kann, wie Momente der Liebe und der Solidarität aufblühen können. Und das wieder einmal in einer so schillernden und untergründigen Sprache, dass wir als Lesende bald selbst in der Umlaufbahn der Lübecker Klinik zu kreisen glauben.« (Matthias Nawrat)
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Caspar-Maria Russo
Prinzip Ungefähr (Residenz Verlag)
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Mit Leichtigkeit und Charme erzählt Caspar-Maria Russos Roman von Masha und Iggy, von geklautem Parmigiano und von einer Liebe in ungefähren Zeiten. Hier gibt es zwei, die sich lieben und immer wieder verpassen: Iggy will Filmemacher werden, doch mit der Aufnahme auf die Filmakademie hat es bisher nicht geklappt. Masha verliert sich in den Labyrinthen des Online-Datings und studiert wie nebenbei Medizin. Die beiden begegnen sich zufällig, doch wie verliebt man sich hier und heute? Und wie spricht man darüber, wenn man über alles andere sprechen kann und jedes Beziehungskonzept kennt? Bis Masha und Iggy ein Paar werden, müssen sie erst mit der sterbenskranken Valeria nach Italien fahren, eine Kirche ausrauben, nackt im Wörthersee baden – und lernen, auch mal einfach nichts zu sagen. Und wie allen Räuberpärchen gelingen ihnen die irrsten Coups, bevor ihnen das Schwerste glückt: Nähe zuzulassen …
»Super Buch! Legendäre Supermarktszenen und eine verstörend realistische Liebessituation. Jemand sollte eine HBO-Serie daraus machen. 5/5.« (Barbi Marković)
»Ein aktueller Roman. Ein politischer Roman. Ein verdammt lustiger Roman. Ein wunderbarer Roman!« (RADIO SRF 1)
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