Lukas Rietzschel
Die Arbeit? Ist schon auch weg. Zumindest die gewohnte Arbeit. Neue Arbeit ist eigentlich genug da. Paketdienst geht immer. Die Frage ist, ob die alten Beziehungen und Freundschaften noch da sind. Zwischen Isabell und ihren Eltern, ihrem Schulkameraden, zwischen Isabell und der neuen Freundin des Vaters.
Die Häuser sind abbezahlt, oder sie sind viel zu groß, um sie allein zu unterhalten. Denn Alleinsein, das ist auch so ein Thema. Man begegnet sich auf der Straße, man grillt, abends sitzt man in der Garage zusammen beim Bier. Aber in dem, was geredet wird, verbirgt sich viel an Ungesagtem. Manches wird auch gar nicht erst gesagt, sondern gleich verschwiegen. Die Suche nach Nähe führt nicht nur Isabell immer wieder zur Mutter, aber die ist eh fast nicht mehr da.
Sprachlosigkeit wird greifbar, und Verständnislosigkeit. Zwischen den Generationen, innerhalb der Generationen. Sehnsucht wird greifbar, Unsicherheit. Begründet liegt die Unsicherheit in den Figuren selbst, nicht so sehr in den Umständen (den realen und den gefühlten). Auch, wenn das den Figuren lieber wäre. Umso mehr stellen sich manche die Frage, ob die früheren Zeiten nicht doch bessere waren und wie man auf die neuen Zeiten reagieren sollte. Will man sich wieder alles gefallen lassen? Denn Widerstand, den hat man doch jetzt gelernt, heißt es in der Garage: „Da gibt es tausend Möglichkeiten. Heute sowieso.“
Lukas Rietzschel entwirft in großer Genauigkeit die Atmosphäre einer Gegenwart. Sein Text schaut sehr genau hin und hört seinen Figuren sehr genau zu: Dem, was sie sagen, und dem, was in der Stille dazwischen liegt. Dem, was geschieht, und dem, was daraus geschehen könnte. Einfache Antworten sucht der Text nicht, er verwirft sie, sogar die Figuren verwerfen sie. Stattdessen gibt „Widerstand“ in konzentrierten Dialogen und in scharfer Beobachtung das Bild einer Gesellschaft, deren Substanz Risse hat, die größer werden. Und die mit Argumenten nur noch schwer zu kitten sind. (Schauspiel Leipzig)
Die Deutsche Bühne
„Die Konfliktlinie verläuft zwischen alten und neuen Bundesländern genauso wie zwischen Land und urbanen Gebieten. Lübbes Introspektive in die Provinzküchen und -keller offenbart dabei keineswegs banale Spiegelungen von Nazis und ‚besorgten Bürgern‘. Auch die Frage, woher das Abgehängtsein ganzer Regionen rührt, steht nicht im Vordergrund. Vielmehr geht es ihm am Schauspiel Leipzig, einem Zentrum umgeben von weiten Landschaften, darum, ein differenziertes, vielschichtiges Porträt der Ränder der Gesellschaft zu entwerfen. Zweifelsohne zählt dieses bildreiche Panoptikum verlorener Seelen zu den exzellentesten Realisierungen auf der digitalen Bühne!“
Theater heute„In einer guten Stunde kunstkühlem Kammerspiel schafft Lübbe mit Rietzschels bündigem Text eine sinistere Atmosphäre. Es keimt die Wut im Gegenlicht. Ein ostdeutsches Heimatbild wie im Dämmerzustand geschürft. Und das Erwachen verheißt nichts Gutes.“
Deutschlandfunk Kultur„Rietzschel skizziert diese ineinandergreifenden Mini-Dramen lakonisch und kalt. Der Theater-Film, der jetzt in Leipzig entstand, taucht diese Mitleidlosigkeit in einfache, aber künstliche Bilder. Im Zentrum steht eine kleine Drehbühne mit durchsichtigen Vorhängen drumherum. Szenische Miniaturen stellt Bühnenbildner Hugo Gretler auf diese kreiselnde Welt: Tisch, Stühle, Bett. Die Menschen darin wirken wie lebende Puppen, ausgestopft und wie eingezwängt in die Kostüme von Teresa Vergho, immer überschminkt und wie maskiert. Aber zu Abziehbildern und grob gezeichneten Karikaturen werden sie nicht. Das war noch so bei ‚Mit der Faust in die Welt schlagen‘. Jetzt aber hat Autor Rietzschel den Alltagswesen richtige Geschichten gegeben, ein Schicksal. Der junge Autor ist auf bestem Weg zum Dramatiker. Das Schauspiel Leipzig tat gut daran, ihm diesen Stückauftrag zu geben.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung„Rietzschels Stück dauert nur eine knappe Stunde. Im bewährten Stil der short cuts reiht es kurze Dialogszenen aneinander, die alle von der bedrückenden Stimmung des Verlustes durchzogen sind, der Scham, ausgesondert zu sein, und dem daraus erwachsenden Gefühl der Unzulänglichkeit. Rietzschel rechtfertigt nichts von dem, was seine Figuren tun; aber er diffamiert sie auch nicht. Er lässt sie von ihren Nöten sprechen und führt sie nicht vor.“
NachtkritikDer Text moralisiert nicht, er hat Witz und Verständnis und zeigt einfühlsam die Enttäuschungen vieler aus den letzten 30 Jahren. Er zeigt facettenreich das soziale Auseinanderdriften der Gesellschaft – zum Beispiel Stadt und Land oder Dienstleistungsprekariat und Beamte –, und zugleich legt er den Finger in die Wunde. Sagt: "Es reicht!"
Süddeutsche ZeitungEs ist, was die Mentalitätserkundung des sich abgehängt fühlenden Ostens angeht, das Stück der Stunde [...] Bevor irgendwelche Besserwisser aml wieder den Osten erklären, sollten sie sich bitte Rietzschels Stück ansehen [...].