Heinrich Mann
Madame Legros
Drama in 3 Akten
7 D, 4 H, 1 Dek
Madame Legros, eine einfache Frau aus dem Kleinbürgertum, findet vor der Bastille einen Zettel mit der Botschaft eines seit vielen Jahren unschuldig im Kerker schmachtenden Gefangenen, der um Hilfe bittet. Durch diesen Zufall wird ihr die ungeheuerliche Macht des Unrechts und die willkürliche Gewalt der Herrschenden mit Bestürzung bewusst. Sie setzt sich fortan mit missionarischem Eifer für die Befreiung des Unschuldigen ein. In den höheren Schichten der Gesellschaft, zu denen sie sich Zugang verschafft, genießt man die Ungebrochenheit und Unmittelbarkeit der einfachen Bürgerin, die von der Idee der Gerechtigkeit erfüllt ist, als eine Kuriosität. Selbst die Königin möchte sich ein solches Schauspiel volkstümlicher Naivität nicht entgehen lassen: Madame Legros vermag bis zu ihr vorzudringen und ihr die Bitte um Befreiung des Gefangenen Latude vorzutragen. Immer deutlicher wird sich Madame Legros bewusst, dass sie, um ihr Ziel zu erreichen, gezwungen ist, mit den Herrschenden Kompromisse zu schließen. Sie erreicht endlich, wofür sie gekämpft hat, und wird für ihren leidenschaftlichen Einsatz im Dienst der Menschlichkeit mit dem Tugendpreis der Akademie ausgezeichnet. Müde und desillusioniert, vermag sie die öffentliche Ehrung nur noch als Hohn auf die gerechte Sache zu empfinden. Als die Menge am Vorabend des Sturms auf die Bastille Madame Legros auffordert, als Führerin voranzuschreiten, weigert sie sich. Der Chevalier d'Angelot, der sie vor der blinden Wut der Revolutionäre schützen will, wird getötet. Madame Legros kehrt voller Schuldgefühl und Resignation in ihr beschränktes häusliches Dasein zurück. (Kindlers Neues Literatur Lexikon)