„Ist es Wahnsinn, Blitze einzufangen? Sich die Unendlichkeit vorzustellen?“ Für Gerhard Roths Lichtenberg stellt sich die Frage nicht. Wahnsinn und Forscherdrang liegen bei ihm eng zusammen, das eine befördert das andere und andersherum. Denn das Abenteuer Denken schließt, wenn es zu Entdeckungen führen soll, Ungeheuerlichkeiten mit ein.
Dieser Lichtenberg ist vom echten Experimentalphysiker der Aufklärung inspiriert, einschließlich einiger Aphorismen, die zitiert werden. Doch anders als das Original, hat er den letzten Schritt gemacht: Die Grenze zwischen Chaos und System ist verwischt. Er ist manisch in allem: im Denken, in der Leidenschaft, im Sprechen und Handeln.
Zu Beginn der Groteske nehmen ein Arzt, ein Pfarrer und der Vater eines Sonderlings die Experimente Professor Lichtenbergs noch interessiert und irritiert auf. Die Gedankengebäude des Professors, kaskadisch versprüht, überfordern sie, aber das macht den besonderen Reiz für sie aus. Sogar noch, als der Kommissar der Ermordung der Nachbarin nachgeht, weiß Lichtenberg alle Anwesenden in ein Labyrinth aus Experiment und logischem Denken zu verstricken. Er lässt eine Prostituierte kommen, um die gefährliche Zügellosigkeit des Sonderlings zu beweisen. Doch der Verdacht fällt trotz der absurden Beweisführung Lichtenbergs auf ihn selbst: Er wurde gesehen, wie er nachts in das Haus der Nachbarin ging. Das Spiel mit dem Wahnsinn wird zum tödlichen Ernst.
Gerhard Roth
Lichtenberg
Stück in 4 Akten
2 D, 7 H, 1 Dek
UA: 19.10.1973 · Steirischer Herbst (Vereinigte Bühnen), Graz · Regie: Peter Fitzi