Gerhard Roth erinnert sich an das, was er von "Geschichte" weiß. Dabei ignoriert er aber jene Form von Geschichtsschreibung, die sich ausschließlich an Herrschaftsgeschichte orientiert. Es geht um Abrisse einer inneren Geschichte der Menschheit. Der Titel erklärt sich aus der Ästhetik des Schreibvorgangs - ein Sich-Erinnern an etwas wie die "Kindheit der Menschheit".
Das Formale der 28 Szenen entspricht dem Inhaltlichen. Sie sind Ausdruck einer babylonischen Sprach- und Denkverwirrung der Menschheit, in Floskeln und Sprichwörtern, im Schießen und Schlagen, im Wahnsinn, in der Lüge, in Clownerien, aber auch im Leiden. Die Sprache ist Kampfmittel zwischen den Geschlechtern, da gibt es die Wissenschaftssprache und Sophistik, die Befehlssprache, die Sprache der Macht, den Hymnus.
"Gerhard Roth will keine Geschichte erzählen: die 28 Szenen seines Stückes ergeben keinen Handlungsablauf, sondern verweisen assoziativ aufeinander. Sie treten zu einer Komposition von Zeichen zusammen, deren Sinn sich erst erschließt, wenn man sich auf ihre poetische Logik einlässt. Indirekt zielt Roth dann freilich doch auf Geschichte. Sie erscheint, oft in grotesken Verzerrungen, als Unheil, das die Menschen in seinen Bann schlägt, ihnen ein falsches Bild von sich selbst und dem Leben vorgaukelt." (Gerhard Melzer)
Gerhard Roth
Erinnerungen an die Menschheit
28 Szenen
6 D, 8 H, 2 Liliputaner, 1 K, St, Verwandlungsdek
UA: 27.09.1985 · Steirischer Herbst (Vereinigte Bühnen), Graz · Regie: Emil Breisach