Ein junges Paar findet im Nebel seinen Weg durch Industrieschnee zur Steinernen Brücke von Regensburg. Es ist vereinbart: das Leben wird hier an einen Wendepunkt gestellt. Die beiden nehmen sich Zeit, die Gesprächsthemen kreisen um den Kauf eines Wintermantels und um liegengebliebene Schamhaare am Badewannenrand. Unsentimental und profan wird über das Lebens-Ende sinniert: "Blöd nur, daß wir morgen in den deutschen Zeitungen stehen."
Nach dem Sprung hat sich das Dasein verkehrt: "Nahezu jegliches Verhalten galt als nicht richtig. (...) Ich meine, daß jedes Verhalten auf der Erde oben nahezu falsch war." Wie ein Negativ von seinem Abzug steht das Leben und das Leben nach dem Leben zueinander in Verbindung. Der Sprung in die Donau stülpte von innen nach außen: Nicht-Können verkehrt sich in Können, Wissen in Nicht-Wissen, Nicht-Erzähltes wird ausgeschmückt vorgetragen, vormals Existente bleiben aus und Verstorbene begegnen sich, gehen ihren Wegen nach. "In der Finsternis kommt alles ans Tageslicht."
Ein Engel erlöst die beiden in die nächste Seins-Stufe: sie sitzen nackt unter sieben blauen Bergen, auf deren Gipfeln sich je eine Vase befindet und plaudern ("Ich weiß gar nicht, wovon ihr sprecht" / "Ist auch nicht die Rede wert"). Dann überschlagen sich die Ereignisse, bis ER mit den Worten "Laß dir gesagt sein: Mögen andere ihre Phantasie an die Wirklichkeit hängen ... Ich hänge die Wirklichkeit an meine Phantasie" endgültig mit der Lanze unter dem Arm von dannen reitet. Das verleitet auch SIE zum Outing: "Nun kann ich euch ja sagen, wer ich bin. Ich bin ein Baum".
Herbert Achternbusch
Dulce est
Schön ist es für das Vaterland zu sterben in der Finsternis
2 D, 10 H, 1 Engel, 1 Pferd, 7 Berge
UA: 22.11.1998 · Münchner Kammerspiele · Regie: Peter Wittenberg