Hermann Burger

Der Orchesterdiener
Monolog
Nach der gleichnamigen Erzählung
1 H, 1 Dek
UA: 24.02.1992 · Schloßtheater, Celle · Regie: Sergé Roon
August Schramm ist taub. Sein musikalisches Analphabetentum hindert ihn jedoch nicht, sich der Muse fronbar machen zu wollen. Und die Gelegenheit ergibt sich: den mit sensibelstem Musikgehör gestraften Orchesterdiener der Städtischen Philharmonie hat während einer misslungenen Interpretation der Schottischen Symphonie von Mendelssohn-Bartholdy der Schlag getroffen. Jetzt gilt es nur noch, dem Herrn Generalmusikdirektor plausibel zu machen, dass die Kandidatur des tauben August die einzig erwägenswerte sei.
Es ist ein ungewöhnliches Bewerbungsschreiben. Der übliche Lebenslauf, die sachliche Auflistung der Fähigkeiten und Qualifikationen fehlen. Stattdessen feuert Schramm gewaltige Wortsalven auf den Generalmusikdirektor ab, keine Gelegenheit auslassend, sein angelesenes enzyklopädisches Wissen über Komponisten und Symphonien, seine genaueste Kenntnis des Philharmoniebetriebs einzubringen. Er klagt den Adressaten der Verantwortungslosigkeit an, die Stelle so lange nicht ausgeschrieben zu haben, und erlaubt sich zu bemerken - so die herrschende Meinung - der vorige Orchesterdiener sei durch ein verpatztes Decrescendo fahrlässig oder doch eher - so seine eigene Überzeugung - durch ein vom Blech und den Schlaginstrumenten in konspirativer Manier vereiteltes Smorzando vorsätzlich getötet worden. Das er, Schramm, von Freunden auch der taube August genannt werde, flicht er in einen Nebensatz ein und unterstreicht die Vorteile, die diese Nichterfüllung des Anforderungsprofils mit sich bringt: Er sei eben kein verhinderter Musikus wie sein Vorgänger, sondern würde mit Körperkraft für Ordnung und Gerechtigkeit im Orchester sorgen. Er fordert Kontragenialität, nicht Kongenialität.

Hörspiele

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