Was hinter den Kulissen der Bühnenwelt wohl stehen mag? Wer sich hinter den Großen und Heroen wohl verbirgt? Da gilt es den Blick für etwas anderes zu schärfen, für die Abseitigen im Hintergrund, für die Zuarbeitenden, die Opfergänger: die Frauen vor allem. Um diese nämlich geht es Marlene Streeruwitz im Learschen Haushalt. Drei Töchtern ist die Mutter früh schon weggestorben, der königliche Vater, misslaunig und alt, nur ein saufender Unhold. Zweien ist der eigene Ehemann nur ein Klotz am Bein. Bei Cordelia, der Jüngsten, soll's zwar anders werden, gelingen will es ihr aber nicht. Auch sie wird sich dem Gesetz der Männer beugen müssen. Von heiß für sie entflammten, aber leider auf ihren Erstbesitz bedachten Jünglingen im Stich gelassen, stürzen sich andere auf das wehrlose Mädchen. Was der eine sich vergewaltigend besorgt, muss sich der eigene Vater noch ersehnen. Versoffen, krank und pustelig vergällt er seiner Tochter, sie begehrend, endgültig die Kinderstube. Verwirrt und zerstört bleibt Cordelia auf der Strecke, der Schwestern Rat in den Ohren: "Das ist so abgemacht. Wir müssen es falsch machen. Sonst machen wir es nicht richtig." Goneril und Regan halten da schon länger durch. Brave Kinder spielen mit ihren Puppen, anständige Mütter mit ihren Kindern. Und um Orangenmarmelade kreist das Gespräch englischer Hausfrauen. Dass ihnen dann aber von ihren Liebhabern übel mitgespielt wird, geht zu weit - das Frauenschicksal erspart ihnen nichts. "Wir Frauen. Wir sind schon in ein Grab geboren." Unsentimental und konsequent tragisch schickt sich Goneril an, ihren Kindern, der Schwester und sich selbst die Grube auszuheben. Übrig bleibt nur ein kranker, machtbesessener Mann namens Lear, um dem Theater seine, und nur seine Geschichte zu vermachen. (Theater Bielefeld)
Marlene Streeruwitz
Dentro.
Was bei Lears wirklich geschah.
4 D, 3 H, 3 kleine Mädchen, St
UA: 02.09.2000 · Theater Bielefeld · Regie: Christian Schlüter