1939 – zu Beginn des Zweiten Weltkriegs – schrieb Joseph Kesselring, ein deutschstämmiger New Yorker, seine weltberühmte Komödie ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN. Bis 1944 wurde sie weit über 1000 mal am Broadway gespielt und anschließend mit Cary Grant furios verfilmt. Der Wunsch nach Unterhaltung in Kriegs- und Krisenzeiten war damals groß. Und ist es heute wieder. Der ultimative Klassiker des schwarzen Humors wird landauf landab auf deutschsprachigen Theaterbühnen gespielt und vom Publikum frenetisch gefeiert. Mit Jakob Nolte hat sich neben Kesselring ein weiterer Spezialist des schwarzen Humors dieser dauerbrennenden Krimigroteske angenommen und eine rasante Neuübersetzung angefertigt. Im Gespräch mit Friederike Emmerling erzählt er, was ihn an diesem alten Schinken gereizt hat.
Lieber Jakob, du hast ja bei deinem letzten Roman DIE FRAU MIT DEN VIER ARMEN eine abgründig komische Krimiaffinität bewiesen. Dann hast du den großen Klassiker unter den Krimikomödien ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN neu übersetzt. Offenbart sich da eine neue Nolte-Passion, Krimi und Komik?
Absolut. Wobei man es mit der Komik auch nicht übertreiben sollte! Aber ich war selbst baff zu merken, wie nah sich Arsen und mein letzter Roman sind. Wobei Arsen viel zugespitzter ist. Das Stück spielt sich in einer Nacht voller Holterdiepolter und Mordversuche ab. Und die Brillanz von Kesselring liegt darin, dass der Humor nahezu ausschließlich aus den Situationen entsteht. Aufgabe der Übersetzung war es daher, eine Sprache zu finden, die rasch und wendig ist, und nicht beeindrucken möchte durch Wortspiele oder Pointen, sondern gänzlich dem Schauspiel dient.
ARSEN UND SPITZENHÄUBCHEN wurde 1941 in New York uraufgeführt. Man könnte es für eine olle Kamelle halten. Warum, glaubst du, wird dieses Stück immer und immer wieder gespielt?
Weil es völlig unerhört ist, moralisch verroht, und dabei durchgehend den Anschein des Normalen wahrt. Es funktioniert über diese Gleichzeitigkeit aus Wahnsinn und Entgrenzung auf der einen Seite und schrecklichster Piefigkeit und Banalität auf der anderen. Wobei dahinter eine ganz aufrichtige Frage lauert, die uns wahrscheinlich alle (ab einem gewissen Punkt zumindest) angeht. Nämlich eine Frage nach dem Altern und der Einsamkeit des Alterns. Außerdem geht es an verschiedenen Punkten um Vermächtnis und Erbe, Familie, auch die Angst davor, all dem nicht entkommen zu können. Vor allem die beiden Tanten haben etwas sehr Nostalgisches und darin Starkes, was sie rührend macht.
Was hat dich bei der Übersetzung von "Arsen" wirklich überrascht?
Überrascht ist das falsche Wort, aber was ich faszinierend fand, war die Genauigkeit, in der Kesselring das Bühnengeschehen beschreibt. Jeder Handgriff, jede Geste ist im Text vermerkt. Eine Art zu schreiben, die heute kaum noch üblich ist. Totale Kontrolle. Wobei auch das wieder zu diesem Gegensatz aus äußerer Enge und innerer Entfesselung passt: kontrollierte Verausgabung. Das, was die Spielenden tun sollen, ist bis ins kleinste Detail geplant - aber unhinged bis zum get no.
Lieber Jakob, vielen Dank für das Gespräch!
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