Wir taumeln freudig von Bord des emotionalen Höhenflugs, den der Heidelberger Stückemarkt uns beschert hat. Drei Nominierungen im Autor:innenwettbewerb und ein Preisregen in fast allen Kategorien. Unsere Kollegin Johanna Schwung lässt das Festival aus ihrer Sicht Revue passieren.
Zum 40. Jubiläum des Stückemarkts erstrahlt Heidelberg ganz in lila. Schon bei meiner Ankunft am Bahnhof ist eine besondere Stimmung im Städtchen spürbar. Ich erwarte ein spannendes Wochenende voller Euphorie für neue Dramatik. Ich merke schnell, damit bin ich nicht allein. Und: Aufregung multipliziert sich, wenn man sie teilt. In meiner Rolle als Lektorin für unsere Autor:innen mitzufiebern fühlt sich anders an, als wenn ich selbst direkt mit der Anspannung konfrontiert bin. Als Regisseurin kenne ich das Gefühl, am Tag der Premiere nichts mehr beeinflussen zu können. Jedoch bin ich dann selbst für den Abend verantwortlich. Jetzt ist das ein ganz neues Miterleben. Wie wird die Strichfassung aussehen? Werden die Figuren greifbar? Werden die Zuschauer:innen mitgehen? Mit Beginn der ersten szenischen Lesung wird das Publikum zu Mitbewohner:innen der WG von dagmar, inga und ronda des Stücks draußen ist wetter (oder die erfindung der straßenverkehrsordnung) von Caspar-Maria Russo. Argumente fliegen durch den Raum, Empathie und Antipathie für die Figuren sind spürbar, der Funke springt über. Wir Zuschauer:innen finden uns in vielen Aussagen wieder: ein dynamischer Auftakt. Nicht zuletzt durch Caspars authentisch-lässiges Publikumsgespräch, das zum Austausch anregt. Direkt danach tauchen wir ab zwischen die Ingredienzen diverser Suppen beim Familientreffen in Leonie Wyss‘ sinnlich poetischem Coming-of-age-Text BLAUPAUSE. Wir sitzen am Tisch zusammen mit den 13 Cousinenköpfen, den Sebastians und der etwas zu vorwitzigen Tante. Wir driften ab in Erinnerungen an die eigene Pubertät, unsere ersten Crushes und die nervigen Fragen der Verwandten. Langsam tauchen wir wieder auf, finden zurück in die Blackbox.
Am nächsten Tag begeben wir - das kollektive „Wir“ des Festival-Publikums, zu dem wir auch abseits der Lesungen mittlerweile verschmolzen sind - uns noch einmal zusammen in die ausufernden Fantasien der Dramatiker:innen. Wir triefen vor Eindrücken wie die Pommes vor Frittierfett in Svealena Kutschkes no shame in hope (eine Jogginghose ist ja kein Schicksal). Und dennoch bleiben wir durchlässig, saugen weiterhin alles auf. Wir schlingen sie herunter, diese schwer verdaulichen Vergangenheits-Häppchen in der Imbissbude der „stets leicht betrunkenen BRD“. Wir spülen und spüren nach. Wir versuchen zu verwerten und zu bewältigen, scheitern selbstverständlich, aber werden uns der nach wie vor großen Relevanz dieser Thematik bewusst.
Nach zwei Tagen neuer Dramatik sind unsere Körper aufgeladen, unsere Köpfe voll mit Zitaten und Bildern, unsere Pupillen geweitet vor Begeisterung, unsere Pulse synchronisiert. Der Zwinger öffnet seine Tore und lässt uns hinaus in die vorsommerliche Idylle Heidelbergs. Wir akklimatisieren uns an das „Draußen“. Die Anspannung fällt ab. Noch schnell ein Foto von der Fischer Family, um diesen magischen Moment festzuhalten. So viele Menschen, denen neue Dramatik wichtig ist, die neue Dramatik fördern und mehr davon fordern, an einem Ort. Das entfaltet einfach eine wahnsinnige Energie. „Ich hab sooo Sehnsucht nach Small-Talk“, denke ich, als ich nach diesem Wochenende - aus dem Festival-Alltag herausgerissen - wieder in Frankfurt ankomme. Ich freue mich auf weitere Drama-Festivals diesen Sommer.
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