Ihr alle. Und kein 'Aber'. Nicht 'die da', kein 'wir'.
Dennoch: Wer von euch ist gemeint?
Der Mann, die Frau? Im Angesicht des Todes die Rollen tauschend: Er, schwach, Sie, stark? Plötzlich energisch?
Oder vielleicht Hieronymus und Habermass? Die beiden Showmaster, die Inkarnation dessen, was ihr Dritte Welt nennt. Die beiden Schwarzen, Rache an den Imperialisten schwörend, und plötzlich, die Rollen wechselnd: Aufgefressen gehört sie, die Erste Welt.
Nein, womöglich sind es die, die sich nicht länger als Subjekt der Geschichte begreifen - Figuren der Antithese: eben Objekte, die sich tanzend auflehnen gegen die Muster und ihre Wächter. Letztendlich Maschinenstürmer, denn tauschen sie nicht etwa eine Illusion gegen die andere Illusion?
Vielleicht der Chor der Toten, euer Ensemble, endlich benennend, worüber ihr nicht wagt zu reden? Der dennoch nicht beansprucht, den Garten, wie Voltaire hofft, nun zu bestellen, wissend, wie rigide überkommende Muster verinnerlicht wurden.
Also wer von euch! Doch der Sohn, der einsehen muss - trotz des Todes des Vaters gibt es kein Entrinnen, keinen Weg aus dem Sog des alten Herrn. Also er?
Möglicherweise ist doch die Frau gemeint, die Tote, deren Erinnerung das vergeudete Leben als Ehefrau und Mutter abräumen will?
Wer von euch ist eine illusionslose, exakte, manchmal deprimierende, manchmal witzige Bestandsaufnahme deutscher Realität und Gesellschaft unter den veränderten Bedingungen des Mauerfalls.
Stefan Schütz
Wer von euch
Ein Satyrspiel
1 D, 5 H, 1 K, Chor, 1 Dek
UA: 02.04.1993 · Freie Kammerspiele, Magdeburg · Regie: Wolf Bunge