Dieses Stück bezieht seine Inspiration aus dem Schnappschuss einer jungen Frau mit kahlgeschorenem Kopf, den Robert Capa für die Magnum Group im Frühjahr 1945, unmittelbar nach dem Ende der deutschen Okkupation, machte.
Es ist nicht der dokumentarische Inhalt des Bildes als Tatsachen-Hintergrund dient. Im Gegenteil: Ohne Zweifel hatte
Claudine, die junge Frau, die Robert Capa fotografierte, während der deutschen Okkupation mit Verfehlungen ihr Gewissen belastet. Die Hauptperson meines Stückes ist jemand anderer, ein Individuum, das auch zu dieser Zeit lebte: Claudine ist ein Mädchen, das sich ohne Arg eine Verliebtheit mit einem deutschen Soldaten gestattete. Ich gebe mit meiner Geschichte Robert Capas Bild einen anderen Gehalt, man könnte sogar sagen, ich montiere ein Bild, das er nie fotografiert hatte, obwohl er es sehr wohl hätte tun können. Das Stück ist, so gesehen, reine Fiktion, wenn ihm auch eine Reihe von Fakten zugrunde liegen. Ich schreibe nicht über die Geschehnisse, sondern über ihre Möglichkeiten. Das Stück handelt möglicherweise von einer Claudine, oder von mir, oder all jenen Menschen, die sich die Zeit nehmen, über jene Frauen nachzudenken, die mit dem Feind fraternisieren, und sich mit kahlgeschorenem Kopf, auf der Straße nach Golgatha wiederfinden. Kurz, das Stück handelt von einer grausamen Welt, dem entsetzlichen Zeitalter, in dem wir leben.
(Henning Mankell)
Henning Mankell
Tage und Nächte in Chartres
(Dagar och nätter Chartres)
Deutsch von Hansjörg Betschart
3 D, 4 H
frei zur UA