Nach fast fünfzigjähriger Ehe verlässt Leo Tolstoi seine Frau Sonja, um sein Leben in völliger Einsamkeit zu beschließen. Unter Verwendung der Tagebücher Sonjas zeichnet Luise Rinser in ihrem ersten Stück seit langer Zeit ein genaues Porträt der Ehe. Gegenseitige Anklagen und Beschuldigungen wechseln ab mit Zugeständnissen und Liebesbeschwörungen. Die beiden absolut subjektiven Sichtweisen führen dazu, dass Ereignisse und Vorkommnisse in ihrer Bedeutung von den Eheleuten höchst unterschiedlich wahrgenommen werden. Das war während der Ehe so, scheint auch in der Erinnerung so zu sein und verhindert eine wirkliche Kommunikation und Verständigung zwischen den Partnern. Am Beispiel von Sonja und Leo Tolstoi zeigt Luise Rinser das Drama solcher Paare, deren Ehe unter Missverständnissen vergraben ist und deren Zusammenleben durch die Unfähigkeit, den Partner als Mensch, der er ist, zu akzeptieren, zur Hölle wurde.
Der monologische Charakter des Stücks macht das Aneinander-vorbei-Reden in all seiner Schrecklichkeit deutlich. Luise Rinser ergreift nicht Partei, stellt Aussage gegen Aussage und erliegt nicht der Versuchung, den einen oder den anderen zu denunzieren.
Luise Rinser
Sonja und Leo Tolstoi
Stück in 1 Akt (abendfüllend)
1 D, 1 H, 1 Dek
UA: 12.07.1990 · Deutsches Nationaltheater, Weimar · Regie: Roswitha Marks