Linker Dichter trifft Neofaschisten. Kaum vorstellbar, damals, als Erich Fried, der dem Antifaschismus verpflichtete Poet, den Neonazi Michael Kühnen im Gefängnis besuchte. Ein Dialog? Ein Gespräch, mit dem Faschisten gesellschaftsfähig gemacht werden? Oder doch eher angetrieben durch die Suche nach den Motiven für eine Gesinnung der Verachtung?
In diesen weniger politisch als sozialpsychologisch akzentuierten Raum stellt Oliver Czeslik seinen fiktiven Dokumentarfilmer Karl Klementi, der das Schweigen über die radikale Rechte nicht akzeptiert, die Verachtung der Verachtung nicht toleriert. Klementi folgt der Einladung der jugendlichen Neonazis Ulli und Gero in ihren Unterschlupf, um einen Film über die Szene zu drehen.
Doch Ulli und Gero nehmen den Filmer gewaltsam in Gewahrsam. Ein Martyrium beginnt für Klementi, bei dem er durch physischen und psychischen Terror unter Druck gesetzt wird. Er soll an Hitlers Geburtstag in Dresden geopfert werden. Hoffnung keimt in ihm auf, als Ulli ihm heimlich zu verstehen gibt, dass sie für die Zeitschrift "Tempo" arbeitet, und sowohl Karl Klementi als auch der Leser/Zuschauer glauben ihr das lange. Die Zeit bis zum "großen" Tag in Dresden vertreiben sich Ulli und Gero mit perfiden Rollenspielen, in die Klementi mal als Gefangener, mal als Patient eines Krankenhauses und mal als Teilnehmer eines brutalen Quizes einbezogen wird. In einem dieser Rollenspiele verwandelt sich Gero in das Opfer und damit ist nicht nur die größtmögliche Annäherung Klementis erreicht, sondern auch die größtmögliche Annäherung von Täter und Opfer, die sich im Schwelgen an alte kämpferische Tage verbalisiert.
Oliver Czeslik
Heilige Kühe
19 Sequenzen
1 D, 2 H, 1 Dek
UA: 30.04.1992 · Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin · Regie: Klaus Metzger