Das literarische Zeitalter neigt sich seinem Ende zu. In Talkshows parlieren Analphabeten, wer eine Kommaregel beherrscht, wird als intellektueller Held gefeiert. Zeit für den Abgesang auf ein Medium, das zwar in Videoschlitze passt, dort aber nicht mehr hervorruft als einen Bildausfall.
Die Provinzbuchhandlung "Julius Hofgreizler Nachfahre" kann sich dieser Entwicklung nicht entziehen - Kunden sind in ihren ehrwürdigen Gemäuern selten geworden. So haben die beiden Verweserinnen des Abendlandes Sabine Knieper (alias Baronin Blixen) und Beate Schüssler (alias O´Flahertie) zu einem ganz eigenen Trott gefunden, seltsame Rituale inklusive. Nur wenn ein Besuch der Besitzerin Hiltrud Sperling (alias Gorgo) ins Haus steht, kehrt kurzzeitig Aktivität in ihren trägen Alltag ein.
Die Idylle trügt. Spätestens mit dem Auftauchen der Jungbuchhändlerin Clara gerät die heile Welt aus den Fugen. Blixen und O´Flahertie werden, kaum dreißig, mit ihrer Antiquiertheit konfrontiert, die Gameboyjugend übernimmt das Steuer: zum Wohle höherer Renditen. Ein echtes Paradies verwandelt sich ins falsche. "Wir sind die Fortsetzung des Abendlands mit anderen Mitteln", verkündet Clara lautstark. Aus der Buchhandlung wird das "Hofgreizlersche Medienparadies", mit kümmerlicher Bücherecke ("Print-Shop"), die wegen Überfüllung nur auf allertreuste Kunden zählen kann. Nebenan boomt das Geschäft: Was blinkt und rauscht, piepst und quietscht, findet reißenden Absatz. Sollte es daran liegen, dass Bücher nicht schreien können?
Florian Felix Weyh
Gutenberg
Eine sentimentale Komödie in britischer Manier
4 D, 2 H, 2 Dek
UA: 08.03.1997 · Vereinigte Städtische Bühnen Krefeld und Mönchengladbach · Regie: Oliver Keymis