germania ¿ (AT) ist ein kritischer Gegenentwurf zu Heiner Müllers "Germania 3, Gespenster am toten Mann". Ich bewundere Heiner Müllers Stück sehr. Und dennoch: Das Stück spiegelt die schulische, männliche, allgemein als normal empfundene deutsche Geschichtsschreibung. Rosa Luxemburg wird bezeichnenderweise nur wortlos als Statistin vorbeigeführt. Was passiert nun also mit der deutschen Geschichte, wenn man den Frauen Stimmen und Redezeit gibt? Ändert sich das Empfinden für die Wichtigkeit von Ereignissen? Wo verschieben sich Akzente und Schwerpunkte? Wie lautet die Antwort auf Heiner Müllers „Germania 3“, wie lautet die Erzählung deutscher Geschichte, wenn man die Frauen fragt? Wenn hier statt Thälmann, Stalin und Hitler die Geschichte aus weiblicher Perspektive erzählt wird: von Rosa Luxemburg, Magda Goebbels, der Hexe von Buchenwald (Ilse Koch), Hannelore Kohl und Margot Honecker? Und wie geht die Erzählung weiter, wenn Romy Schneider und Angela Merkel zu Wort kommen? Während hier nicht Rosa Luxemburg, sondern Hitler, Stalin und Thälmann nur als Statisten wortlos vorbeigeführt werden? In großer Wertschätzung von Heiner Müllers Werk möchte ich mich kritisch und literarisch mit seinem Werk auseinandersetzen und eine neue, weibliche Erzählung deutscher Geschichte als Antwort auf seinen männlichen Entwurf wagen. Und dabei in die Vergangenheit, aber auch in eine mögliche Zukunft blicken. (Lisa Sommerfeldt)
"Hannelore Kohl: Fernsehinterwiews. Aber man wird älter. Und wir Frauen müssen auch noch schön sein. Sollen mithalten mit den Schauspielerinnen. Denen stundenlang die Betonfrisur gemacht und geföhnt wird. Die haben ihren Text. Und wenn es nicht hinhaut, dann noch ein Take und noch ein Take. Bis es perfekt ist. Ich hab nur einen Take. Stehe abends um acht nach fünf Interwiews und sonstigen Tätigkeiten da und muss im freien Fall formulieren. Und einen Wahlsieg verkaufen, an den ich selbst nicht mehr glaube. Das ist ein Lebenswerk. Da muss man durchhalten, da nimmt man auch mal die falsche Medizin. Da fallen schon auch mal die Haare und Nägel aus, nach dem Allergieschock, da färbt sich schon mal die Haut blau. Da erholt man sich schon auch mal nicht mehr davon. Da trägt man schon auch mal Perücke und dickes MakeUp. Da wird der lichtdurchflutete Kanzlerbungalow zur Qual. Da erstarrt das Lächeln auch mal, wenn die Schmerzmittel nicht wirken. Blitzlichtgewitter. Der moderne Scheiterhaufen. Da verbrennt man von innen. So ein abgelichtetes Leben will verkraftet sein."
Lisa Sommerfeldt
germania (AT)
Gespenster der blutenden Frau
Gespenster der blutenden Frau
Theaterstück in der Entstehung