„Eine Konditorei ist kein Gesangslokal, habe ich gesagt. Höflich habe ich das gesagt. Er ist eine Kundschaft, und gegen Kundschaft muss man höflich sein. Ein kleines Happy-Birthday, sagt er, verstehen Sie denn nicht? Man wird nur einmal zwanzig. Das müssen Sie doch verstehen. Sie ist wie meine eigene Tochter, sagt er. ... Sieht sie nicht wunderschön aus, meine schwarze Prinzessin? Muss man nicht auf die Knie gehen vor ihr, muss man sie nicht anbeten, wie sie ausschaut, und sie küssen von den Zehen aufwärts auf jeden Zentimeter ihrer schwarzen Haut, so schön sieht sie aus?“
Doris arbeitet als Bedienung in der Konditorei, weil das Geld, das ihr Mann Erwin nach Hause bringt, hinten und vorne nicht reicht für sie und ihre beiden Kinder. Ihr Leben ist Existenzkampf, nichts können sie sich gönnen, Erwin ist immer müde, und sie hat die Hände des Konditoreibesitzers an ihrem Hintern, in ihrem Ausschnitt.
„Also sollen sie eben hindürfen. Das tue ich für seine Hände, damit er etwas für mich tut ...“
Die schwarze junge Frau mit ihrem Sugar Daddy empfindet sie als Provokation. Und als es zu einem Zwischenfall kommt, kann sie ihre rassistischen Ressentiments nicht länger verbergen.
Der kurze Monolog von Gerhard Meister entstand im Rahmen des Projekts Helping Hands des Autorenkollektivs pol.theater, das im März 2005 am Theater an der Winkelwiese in Zürich uraufgeführt
wurde.
„Wenn am Ende schliesslich ... Doris ... einen minutenlangen, himmelschreienden Monolog hält, ist die Inszenierung bei sich selbst angekommen: bei der ewigen Verliererin, die schwarz, braun oder weiss sein kann und immer auf der Schattenseite des Glücks steht. Wer verurteile ihren Hass auf die (vermeintlich) Glücklicheren, wer werfe den ersten Stein?“ (Neue Zürcher Zeitung)
Gerhard Meister
Doris
1 D
UA: März 2005 · Theater an der Winkelwiese, Zürich