Wilma Abendstern ist in die Jahre gekommen: Die altgewordene Schauspielerin, die es in ihrer Jugend bis zu einer kleinen Bühne nach Wien brachte, ihre restlichen Jahre aber in Memmingen und ähnlichen Städten spielte, kommt in ein Altersheim.
Wilma, die sich nicht in die rigide Ordnung des Heimes einfügen will, soll die dortige Theatergruppe übernehmen und aus Anlass das Heimjubiläums ein Theaterstück herausbringen. Aber sie wählt das falsche Stück: Peter Weiss' Marat/Sade! Andres Veiels Theaterstück zeigt die täglichen Proben und die während dieser Zusammenkünfte aufbrechenden Träume und Hoffnungen der alten Damen, die sich mit ihrem Schicksal im Heim resigniert abgefunden hatten und auf Neues nicht mehr neugierig zu sein schienen. Doch wie vital sie in Wirklichkeit sind, zeigt die Beharrlichkeit, mit der sie die Proben gegen alle damit verbundenen Widrigkeiten verteidigen und durchstehen.
Die Premiere endet mit einem Eklat, der Stiftungsrat des Heimes ist empört, empfindet den Marat/Sade als Aufruf zur Gewalt. Wilma allerdings hatte mit der Aufführung ein anderes Ziel im Auge; sie wollte noch einmal ihren langjährigen Freund und Bühnenpartner von Böck für sich gewinnen, der seinerseits verheiratet, ihr lange Hoffnungen auf eine Bindung machte: Wenn Böck nur zur Premiere kommen würde! Aber Böck erscheint nicht. Wilma bleibt allein. Andres Veiel hat mit atmosphärischen Details den Alltag eines Altersheimes sorgfältig aufgemalt. Sein Stück beeindruckt durch die Genauigkeit der Sprache, die plastische Figurenzeichnung, durch seinen Verzicht auf spektakuläre Wirkungen und durch die Geduld des Autors, sich auf die Widersprüche seiner Figuren einzulassen.
Andres Veiel
Die letzte Probe
Stück in 3 Akten
9 D, Verwandlungsdek
UA: 03.12.1989 · Theater Spielraum, Berlin · Regie: Tanja Ludwig/Andres Veiel