"Das Drama kreist um ein einziges Ereignis: den Tod Bartleys, der im Meer ertrinkt, als er mit einem Schiff zum Pferdemarkt nach Connemara übersetzen will. Bartleys Mutter Maurya hat bereits früher ihren Mann und fünf ihrer sieben Söhne an die See verloren: der vorletzte, Michael, wird seit Tagen vermisst, und die Gewissheit über sein Ende erhält die Mutter im Verlauf der Handlung durch die Entdeckung angeschwemmter Kleidungsstücke. In einer Vision sieht Maurya, wie der Tote auf einem grauen Fohlen seinem letzten Bruder Bartley, der Michaels rote Stute zum Meer reitet, nachjagt, um ihn sich zu holen - ein Motiv der irischen Folklore, das den Toten Rachsucht gegenüber den Lebenden zuschreibt. Aber nicht nur Maurya hat Vorahnungen über das Verhängnis, auch Bartley selbst scheint sich bereits gezeichnet zu fühlen; trotzdem weigert er sich, auf die Schiffsreise zu verzichten, und wird von dem Fohlen über die Klippen gestoßen.
Indem Synge Bartley und Maurya zu archetypischen Figuren stilisiert, verleiht er dem Drama mythische Dimensionen. Maurya wird als eine Art Menschheitsmutter, das Meer als Symbol des Todes gezeichnet. In Maurays Klage, die aller privaten Details entkleidet ist, drückt sich das Leid, aber auch der ohnmächtige Zorn der Menschheit aus, die sich gnadenlos dem Tod ausgeliefert fühlt. In der resignierten Erkenntnis, dass die See jetzt nichts mehr von ihr zu fordern hat, findet Maurya schließlich einen gewissen Trost, den sie auch ihren Töchtern Cathleen und Nora mitzuteilen versucht. Vor dem überwältigenden Schmerz über Bartleys Tod schirmt sie sich und die beiden Mädchen ab, indem sie sich ganz dem Ritus der Bestattung und damit dem Bewusstsein, dass das Leben weitergehen wird, hingibt.
Das Stück... zählt zu den besten einaktigen Tragödien der Weltliteratur." (Kindlers Neues Literatur Lexikon)
John Millington Synge
Der Ritt zum Meer
Stück in 1 Akt
(Riders to the Sea)
(Riders to the Sea)
Deutsch von Martin Michael Driessen
3 D, 1 H, St, 1 Dek
UA: 25.02.1904 · Irish National Theatre Society, Molesworth Hall, Dublin