Herrmann hat es geschafft: Er ist umworbener "Grazkünstler", seine "Schleimfiguren" finden reißenden Absatz. Seitdem haben sich die Verhältnisse verkehrt: Seine Mutter hat er in die Kammer verbannt, aus einem Gitterbett röhrt sie ihre Statements. Herrmanns Muse ist Anna Rottweiler. Sie lässt sich von ihn demütigen und misshandeln, sooft und solange er will.
Vom brutalen Ungeheuer wechselt Herrmann aber sofort zum lammfrommen Underdog, wenn der Galerist Axel Dingo oder die Mäzenin Cosima Grollfeuer erscheinen. Seine Unterwerfung ist konsequent: Er folgt allen Ratschlägen der beiden, auch wenn sie bedeuten, sich von Anna Rottmüller zu trennen. Er selbst verfügt schließlich über genauso große Nehmerqualitäten wie seine Mutter oder Fastfrau Anna: Seine Malergehilfen 99, 100 und 101 schlagen und treten ihn auf seinen eigenen Wunsch hin, denn "die Selbstzerstörung ist die oberste Reinheitsgebotsvorschrift des künstlerisch tatvollen Kunstmenschen". Um sich als Künstler zu etablieren, stellt er Spitzwegs "Armen Poeten", Michelangelos "Pietà" und van Goghs Selbstbildnis nach - Selbstüberhöhung durch Anverwandlung von Kunst. Die Kunstszene aber lässt ihn fallen, und die Verhältnisse kehren sich wieder um: Am Ende steht Herrmann ohne Muse und ohne Anerkennung da - allein mit seiner Mutter, zurück in der Armseligkeit der Familie.
In der Fortsetzung von Volksvernichtung oder Meine Leber ist sinnlos "verquickt Schwab sein Familien-Inferno mit der Satire auf den Kunstbetrieb - ausgedrückt in orgiastischen Sprachverrenkungen und Bildexzessen, die immer angestrengter, immer gesuchter in ihrer Schockwirkung ausfallen" (Schauspielführer der Gegenwart).
Werner Schwab
Der Himmel mein Lieb meine sterbende Beute
Selbstverfreilicht eine Komödie
3 D, 5 H, 1 Dek
UA: November 1992 · Staatstheater Stuttgart (Kammertheater) · Regie: K. Kreuzhage
Übersetzt in: French, Swedish