In Stefan Schütz Stück dringt der titelgebende Hahn in die kleinbürgerliche Enge der DDR-Gesellschaft ein, zwar selbst schon arg gerupft und flügellahm, aber durchaus noch in der Lage, Aufregung, Verstörung und Befreiung zu bewirken.
Bei Alma und Andreas Korgul setzt er sich in deren Toilette wohnlich fest. Bei beiden tritt unter Einfluss des gefiederten Hausgenossen eine Bewußtseinänderung ein, bei Alma entscheidend, bei ihrem etwas stumpfsinnigen Mann partiell. Er als linientreues Parteimitglied erwischt sich erschreckt dabei, dass er anfängt, selbständig zu denken. Alma dagegen erlebt einen Reifungsprozess. Sie ist vor dem Hahn zunächst geflohen, einen ganzen Tag ihrer Arbeitsstelle ferngeblieben und wurde sich beim Herumstreifen der Leere ihres maschinenbestimmenden Alltagstrotts bewusst. Nun fühlt sie sich dem aufstörenden Tier fast mystisch verbunden.
Als Andreas das beunruhigende Tier umbringen will, entreißt Alma ihrem Mann das Schlachtmesser und stößt es ihm in den Bauch. Den Hahn lässt sie durchs Fenster entwischen, bevor die Polizei sie abführt.
Mit beißender Ironie schildert Schütz Funktionärsängstlichkeit, Stumpfsinn und Bösartigkeit, dabei die groteske Verlebendigung von Dinglichem wirkungsvoll einsetzend.
"Ein Stück, nur aus einem Schrei gebaut, das wäre ehrlich", schreibt Stefan Schütz in seinen Bemerkungen Schwierigkeiten beim Schreiben eines Stückes - und sei es, so wollen wir hinzufügen, ein Hahnenschrei.
Stefan Schütz
Der Hahn
8 D, 13 H, St, Verwandlungsdek
UA: 19.09.1980 · Theater der Stadt, Heidelberg · Regie: Lutz Hochstraaate