Stanislava Jevic & Dominique Enz

Liebe auf Distanz – OUT THERE von Stanislava Jević hat nach einer Idee von Dominique Enz

#FOMO Wie begegnen sich Jugendliche in einer Zeit, die von Isolation und der zunehmenden weltpolitischen Eskalation geprägt ist? Stanislava Jević hat nach einer Idee von Dominique Enz ein Theaterstück über Liebe in digitalen Zeiten für junge Menschen geschrieben. Oliver Franke über das neue Jugendstück OUT THERE (14+).

 

Unser Miteinander ist längst nicht mehr ausschließlich von direkten Begegnungen ‚in real life‘ (IRL) geprägt; es entstehen digitale, internationale Communities, über die sich Menschen austauschen und ihr Leben teilen. Höchste Zeit also, dass auch das Theater mit all seinen theatralen Mitteln unserem Leben im Netz nachspürt.

Stanislava Jević hat nach einer Idee von Dominique Enz ein Theaterstück über Liebe in digitalen Zeiten für junge Menschen ab 14 Jahren geschrieben. Die beiden erarbeiteten ein Konzept, um, so Dominique Enz, „Möglichkeiten und Missverständnisse von unterschiedlichen Kommunikationsformen“ sinnlich erlebbar zu machen. OUT THERE nähert sich über zahlreiche Chatverläufe und Facetime-Calls der Beziehung zwischen den Hauptfiguren Angelina und Leo an und wechselt mühelos zwischen den beiden Erzählperspektiven. Was daraus entsteht, ist eine vielschichtige und einfühlsame Liebesgeschichte über das Leben von jungen Menschen in unserer dauervernetzten und durchdigitalisierten Gegenwart.
Leo* ist auf einer Fridays for Future-Kundgebung und steht mitten in der Menschenmenge. Es regnet in Strömen. Und was passiert? Auf der Demo verliebt sich Leo in die Rednerin auf dem Podium. Angelina ist so anders als alle anderen Mädchen in deren* Freundeskreis. Eine engagierte und ehrgeizige Aktivistin und Lebenskünstlerin. Hat sie Leo gerade angeschaut? Ist das wirklich passiert? OUT THERE beginnt als eine Liebesgeschichte „auf Distanz“. Dominique Enz schreibt zu ihrer initialen Idee:

 


„[Mich hat interessiert], ob wir uns vielleicht gerade durch die physische Distanz nah sein können. Ob wir vielleicht Intimstes teilen, uns berühren können, uns körperlich nähern können, gerade weil wir den Raum nicht teilen. Und natürlich macht die räumliche Distanz einen Sehnsuchts- und Projektionsraum für Träumereien auf. Aus diesen Gedanken habe ich ein Konzept für ein Stück über zwei junge verliebte Menschen in zwei Räumen und drei Teilen – Chat, Telefon, Begegnung im Raum – entwickelt“

 


Bei der Uraufführungsproduktion am Jungen Schauspielhaus Hamburg, die Dominique Enz selbst inszeniert hat, wird das Publikum in zwei Gruppen aufgeteilt, sodass es entweder in Angelinas oder Leos Zimmer schauen kann. Sie betrachten die sich anbahnende Liebesgeschichte durch die unterschiedlichen, sich auch teilweise widersprechenden Perspektiven der beiden. Erst im letzten Akt treffen Angelina und Leo und die Zuschauer:innen aufeinander und es werden die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Beziehung zusammengeführt. Distanz als inhaltliches und formales Element bestimmt sowohl den Text als auch die Inszenierung und schafft eine Atmosphäre der Isolation, die erst noch von den beiden Protagonist:innen durchbrochen werden muss. Für Stanislava Jević ist das zentrale Motiv des Stücks,

 


„dass wir hier jugendliche Figuren gewissermaßen ‚eingesperrt‘ in ihren Zimmern erleben, die vor allem digital in Kontakt mit der Welt ‚out there‘ treten. Und das kann positive und negative Seiten haben, je nach Figur/Charakter und Situation. Während Angelina die digitalen Möglichkeiten in ihrem Alltag eher souverän nutzt, um auch in der Welt ‚out there‘ aktiv zu sein, sehen wir bei Leo eher auch die negativen Auswirkungen, nämlich, dass eine jugendliche Figur regelrecht im Digitalen versinkt.“

 


Nach dem ersten flüchtigen Augenkontakt auf der Demo scrollt Leo stundenlang durch Angelinas Timeline und Feeds. Langsam nähern sich beide via Messenger an. Sie mögen dieselben Filme und sind voneinander fasziniert. Aber es gibt auch vieles, was sie trennt. Angelina lebt mit ihrer Familie in einer Plattenbau-Großsiedlung. Leo und deren Patchwork-Familie wohnen in einem wohlhabenden Stadtteil. Während Leo vor sich hinträumt und deren dunkle Gedanken zu verdrängen versucht, organisiert Angelina Demos und ist Klassenbeste. Beide suchen sie eine Person ‚out there‘ – da draußen. Sie situieren sich in verschiedenen sozialen Welten, sind geprägt von unterschiedlichen Familienverhältnissen, was zu einigen Konflikten führt:

 


„Wenn wir Angelinas Geschichte lauschen, verstehen wir ihre Wut auf Leo, weil wir ihre soziale Herkunft kennenlernen und wissen, welche ökonomischen Probleme sie umtreiben. Wenn wir Leos Geschichte lauschen, verstehen wir Leos Probleme und Angelinas Wut kommt uns übertrieben vor. Es geht darum, für diese unterschiedlichen Perspektiven der scheinbar selben Geschichte eine Sensibilität zu schaffen.“ (Stanislava Jević)

 


Im direkten Austausch mit Halbgeschwistern oder den eigenen Kindern haben Stanislava Jević und Dominique Enz ein Jugendstück geschrieben, das nicht den Anspruch hat, den aktuellen Jugendsprech realistisch abzubilden. Vielmehr kitzeln Regisseurin und Autorin die größtmögliche Sinnlichkeit aus den unterschiedlichen Kommunikationsmedien heraus. Sie nähern sich behutsam ihren Figuren an, ohne belehrend oder didaktisch zu werden. OUT THERE ist eine berührende und schmerzhafte Liebesgeschichte, in der aktuelle Fragen nach sozialem Milieu, Geschlechteridentität und politischer Teilhabe bzw. Aktivismus durch ein Brennglas der Gen Z betrachtet wird. Intensiv, aktuell und nah.

 

*Die Figur Leo definiert sich als genderfluid und benutzt die Pronomen dey / deren.


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