Kathrin Röggla

“Der Alptraum kommt mitten aus der Gesellschaft, ihre extremistischen Ränder sind nach innen gewandert.”

“Der Alptraum kommt mitten aus der Gesellschaft, ihre extremistischen Ränder sind nach innen gewandert.”© Jessica Schaefer

Kathrin Röggla schreibt Romane, Essays, Hörspiele und Theaterstücke. Immer wieder wurde sie für ihr politisches Schreiben ausgezeichnet. Nun hat sie im Auftrag des Mülheimer Theaters an der Ruhr ein neues Theaterstück geschrieben. In KEIN PLAN (KAFKAS HANDY) nimmt sie uns mit auf einen absurden Roadtrip und in Kreise, die sich von der liberalen Demokratie abwenden oder schon abgewendet haben.

 

Asta, Bof, Cringe und Deepl, vier jugendliche Geschwister, sitzen auf der Rückbank im Auto. Am Steuer ihre Eltern, die behaupten zu wissen, wo es langgeht. Aber davon kann keine Rede sein. Falsche Abzweigungen, Fehleinschätzungen, absolut keine Orientierung: Die Eltern haben eindeutig keinen Plan. Dann ein vermeintlicher Unfall. Liegt da jemand auf der Straße? Wer ist der Mann, der Aufträge verteilt? Und warum warnt er vor dem Rücktrittsbürgermeister? Schließlich landen sie alle im Gericht. Oder vor Gericht? Denn die Eltern sind jetzt plötzlich Verteidiger und dann Angeklagte bei einem merkwürdigen Tribunal bei dem ein Fall von Hochverrat verhandelt wird. Eines wird bei aller Rätselhaftigkeit und Absurdität deutlich: den Eltern fehlt jede Form von Kompetenz. Ob Technologie oder Kommunikation - sie scheitern überall. Und Verantwortung übernehmen sie auch nicht. Die Kinder müssen in dieser dystopischen Coming-of-Age-Geschichte erkennen, dass sie allein zurechtkommen müssen, denn die Eltern sind längst ausgestiegen.

 

Bei der Uraufführungsinszenierung in der Regie von Philipp Preuss in Mülheim war eine höchst “produktive politische Verstörung” zu sehen und “ein Stück mit viel Diskussionspotential." findet Stefan Keim in Deutschlandfunk Kultur. Kathrin Röggla gelingt in KEIN PLAN das Kunststück, uns mitzunehmen auf eine rasante Tour, die uns aus den verschlungenen literarischen Welten Franz Kafkas in eine absurde Wirklichkeit führt. Und in  eine neue Realität, die von Reichsbürgern und Verschwörungsmystikern behauptet wird.

 

Derart eingestimmt, erwarten wir nun mit Spannung Kathrin Rögglas neuen Essayband NICHTS SAGEN. NICHTS HÖREN. NICHTS SEHEN., der am 26.03. bei S. Fischer erscheint. Und in dem die “hellwache Beobachterin unserer Gegenwart” (Jury des Else-Lasker-Schüler-Preises 2022) über die sogenannte Polykrise schreibt und dabei gekonnt die Spielräume der Literatur auslotet.

 

Beim Reichsbürger-Prozess in Frankfurt sitzen die Verfassungsfeinde längst überall im Publikum. An die Wände von Universitäten werden mitten in Deutschland antisemitische Parolen gesprayt. Und über den Klimawandel wird erstaunlich leise gesprochen. Alles ist hyperpolitisch, auch die Kunst. Aber hören wir überhaupt noch zu? Sehen wir die entscheidenden Dinge? Können wir noch miteinander sprechen? Wie immer in ihren Büchern streift Kathrin Röggla als engagierte Zeitgenossin durch unsere Gegenwart. Sie schaut hin, hört zu, befragt die Wörter und riskiert ihre Sätze, um zu neuen Erzählformen zu finden.


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