Das neue Jahr brachte uns gleich zu Beginn richtig auf Touren. Denn im Januar häuften sich die Premieren, Uraufführungen und sonstige Theaterfeste. Also sind wir kreuz und quer durch die Lande gependelt - bis die Bahncard glühte. Zur Krönung feierten wir dann noch ein rauschendes Fest mit all unseren Autor*innen beim 2. Berliner-Bembel Salon! Eine dramatische Reisereportage von Bettina Walther
Es begann mit APROPOS SCHMERZ (DENKEN SIE AN WAS SCHÖNES). Die erste Uraufführung des neuen Jahres fand im gar nicht so weit entfernten Mannheim statt, wo Leo Lorena Wyss’ Auftaktarbeit als Hausautor*in am Nationaltheater mit der Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Medizin abrechnet und von den missachteten Schmerzen weiblich gelesener Körper erzählt. Ein starker Text - durchwoben von Humor und Sinnlichkeit - gespielt von einem starken Ensemble und dynamisch inszeniert von Caroline Anne Kapp.
Schmerzhaft ging es einen Tag später auch am Schauspielhaus Zürich weiter, wo sich Maria Milisavljevic in ihrem als Auftragsarbeit entstandenen Stück STAUBFRAU mit Femiziden auseinander setzte. In der Regie von Anna Stiepani entfaltete sich ein intensiver und bedrückender Abend, an dem erschreckend klar wird,“dass die Zeitlosigkeit des Themas jede Kalendergrenze sprengt” (nachtkritik). Das St. Galler Tagblatt preist denn auch Maria Milisavljevics’ “grandioses Sprachvermögen”, ihr Text sei “realistisch durch grösstmögliche Poesie, und er ist heiter bei grösstmöglicher Seelenschwärze.”
Für die nächste Uraufführung ging es dann ins schöne Bamberg, wo Björn SC Deigners mittlerweile fünfte Auftragsarbeit für das E. T. A. Hoffmann-Theater auf dem Programm stand: “Die Eingeborenen von Trizonesien”. Als solche besingt das gleichnamige Karnevalslied im Jahr 1948 das deutsche Volk. Das Bamberger Ensemble zeigt Deigners trunken-virtuose Groteske mit beeindruckender Verve, Gesangstalent und komödiantischer Präzision - höchstpersönlich inszeniert von der Intendantin Sibylle Broll-Pape, die das Publikum trinkend, singend und lachend zum Teil der Inszenierung macht.
Hellwaches Theater gab es dann in Berlin, wo die Autorin und Regisseurin Milena Michalek gemeinsam mit ihrem Ensemble den Schlaf erforschte. In VERTIKALE WALE fragt sie, "Was bringt und was raubt uns den Schlaf?” Etliche Zugstunden entfernt brachte derweil das Theater Konstanz NO SHAME IN HOPE (EINE JOGGINGHOSE IST JA KEIN SCHICKSAL) von Svealena Kutschke auf die große (!) Bühne - ein überaus beglückendes Beispiel für das erfolgreiche Nachspielen von zeitgenössischer Dramatik.
Halb Nachspiel, halb Uraufführung war dann DIE HAND IST EIN EINSAMER JÄGER von Katja Brunner am Theater Bonn. Denn in dessen Auftrag hat die Autorin ihr Stück von 2019 erweitert, überarbeitet und als drängenden poetischen Appell für Solidarität unter weiblich gelesenen Menschen fortgeschrieben.
Zur nächsten Premiere war es dann von Frankfurt aus nur ein Katzensprung. Am Staatstheater Wiesbaden hat Regisseurin Marie Schleef den mit dem Bachmann-Preis ausgezeichneten Text ER PUTZT von Valeria Gordeev in eine ASMR-Performance übersetzt. “Eine Theatererfahrung, die mit den herkömmlichen Konventionen des Sprechtheaters vielversprechend bricht.” (nachtkritik)
Wir reisten weiter ans Münchner Residenztheater. Denn SANKT FALSTAFF, Ewald Palmetshofers lang erwartetes Quasi-Königsdrama, kam in der Inszenierung von Alexander Eisenach zur fulminanten Uraufführung. Palmetshofers Neudichtung ist “ein Stück der Stunde geworden: über die Macht des Geldes, das Auseinanderdriften von Regierung und Bürgerschaft, Arm und Reich” jubelt die nachtkritik und bescheinigt dem Stück “Blockbuster-Qualitäten”. Und Der Standard stellt fest, “Kaum ein Stück trifft dieser Tage so scharf den Nagel auf den Kopf”. Das sehen etliche Theater genauso - in den kommenden Spielzeiten werden wir mehrfach Gelegenheiten haben, den Palmetshoferschen SANKT FALSTAFF in den unterschiedlichsten Regiehandschriften wieder zu sehen.
Einzig der Bahn gelang es, unsere Reisefreude zu trüben. Zur Uraufführung von Caren Jeß’ HEARTSHIP in Zürich kamen wir fast zu spät. Aber dann war das Glück, rechtzeitig am richtigen Ort zu sein, um so größer. Denn Ebru Tartici-Borchers ließ in ihrer ebenso liebevollen wie klugen Inszenierung das HEARTSHIP leuchten. Wie man mit großer Zärtlichkeit und viel absurdem Humor über den Ausbruch aus bekannten Gender- und Beziehungsvorstellungen erzählt, das lässt sich bei Caren Jeß aufs Schönste erleben. In Zürich waren die drei Stunden Verspätung jedenfalls schnell wieder vergessen.
Beschwingt von all den herrlichen Theaterabenden reisten wir jetzt nach Berlin, wo wir zum 2. “Berliner Bembel Salon” geladen hatten. Fast alle unsere Autor*innen und ihre zahlreichen Wunschgäste waren dem erneuten Ruf des Bembels gefolgt und haben miteinander über das Theater, die Demokratie, Social Media und wie das alles zusammenhängen kann diskutiert. Bei Wein und Pizza wurde bis spät in die Nacht gefeiert und natürlich gab es eine Neu-Auflage des jetzt schon legendären Bembel-Quiz. Es wurde wieder heftig um die goldgeränderten Gerippten gebattlet - die allerdings nicht rechtzeitig aus Frankfurt geliefert wurden. Das Gewinnerteam nahms mit Fassung und freute sich über die alternativ verliehenen Bembel-Orden.
Erschöpft, aber vollends glücklich, schwärmten wir dann nochmal in verschiedene Richtungen aus: z. B. nach Wien ans Schauspielhaus. Dort wurde Guido Wertheimers mit dem Hans-Gratzer-Preis ausgezeichnetes Stück DIE REALEN GEISTER uraufgeführt - in der Regie von Stephan Kimmig. “Das Stück hat einen sehr besonderen Ton: schwebend, flirrend und poetisch”, schwärmt die nachtkritik. “Es vereint magischen Realismus mit einem schwulen Roadmovie”.
In Wiesbaden gab es dann noch Standing Ovations für Falk Richters Wiederaufnahme seiner Hamburger Erfolgsproduktion DIE FREIHEIT EINER FRAU nach Edouard Louis mit der großen Eva Mattes. Und als wäre unser Theaterleben nicht schon ein einziger Traum, war in der letzten Premiere des Monats dann noch “eine fiebertraumartige Erfahrung” zu machen, wie die Berliner Morgenpost urteilte. Denn FAUSTUS::1550 SAN REMO DRIVE, die hybride VR-Inszenierung von RAUM+ZEIT feiert Thomas Manns 150. Geburtstag als virtuelles und virtuoses Finale dieses hochdramatischen Monats.
zurück zum Journal