Ich sage es gern und mit dreckspfauenhaftem Augenaufschlag: Ich durfte 2018 schon einmal eine Laudatio auf Caren Jeß halten. Damals fiel es mir leicht, Caren für ihr schräge-Vögel-Stück Bookpink zu loben, mit dem sie dann später auch an ebendieser Stelle großen Erfolg hatte.
Junge Frau, Du alte Mühlheim-Häsin!
Sechs Jahre später steht es mir nicht mehr zu, Dich zu loben. Ich verneige mich vor Deiner inspirierenden, rasant voranschreitenden Arbeit. Die Katze Eleonore räkelt sich gerade auf dem zweiten Drittel dieser Piste.
Liebe Caren, es ist mir eine Ehre, heute vor Dir von Dir zu sprechen.
Als ich auf der Suche nach Stoff Die Katze Eleonore zum ersten Mal überflog, erschrak ich: ‚Eine Katze! Kann ich nicht. Auf allen Vieren den ganzen Abend, aua, nein, Danke. Und echt jetzt. Es ist 2022. Wir stecken gerade die feuchten Schnauzen aus unseren postpandemischen Mäuselöchern; haben wir jetzt nicht andere Themen als Hauskatzen-Transidentität?‘
Die Katze Eleonore ist die Geschichte einer Frau, die zur Katze wird.
Oder ist es die Geschichte einer Katze, die sich ihrer Damenschaft entledigt? Jedenfalls zeigt das Stück Eleonores Abwendung von der menschlichen Gemeinschaft. Selbst die Mutter in der Seniorenresidenz ist nur noch ein lästiger Kostenfaktor. Das überschaubare Eigenheim mit Garten wird Eleonore zu einer suffizienten Welt.
Sie kann sich den Ausstieg leisten, hat sie doch in der Immobilienbranche mit perfekt manikürten Krallen genug Geld erbeutet; mit einem Geschäft also, das heute nicht wenigen finanziell das Genick bricht: „Ich hab Immobilien vertreten, was ist dagegen ein Vogelgenick?“
Die Katze Eleonore erzählt von der Selbstwerdung einer Katze.
Nein, das Stück handelt nicht von einem Kater in progress. Eleonore ist auch keine Löwin. Sie ist, wie ihr eifriger Therapeut, der schwer fasziniert ist von dieser ungewöhnlichen Klientin, die ihm stolz und ehrgeizlos gegenübersitzt, nicht genug betonen kann, einfach nur eine Hauskatze.
Sie leckt sich trotzdem. Ausgiebig. Selbst. Wer wäre schon der passende Partner für diese Muschi im Evakostüm? (Wo wir gerade dabei sind. Bitte stellen Sie sich vor, Sie schauen einer Frau auf der Bühne bei der Masturbation zu. Und jetzt einer Schauspielerin, die eine masturbierende Katze spielt. Macht’n Unterschied, oder?) Der ersehnte große Wurf kleiner Katzenbabies ist für Eleonore also unerreichbar. Ihre Hypersensibilität ist eher Wunschdenken als die Leistung ihrer Vibrissen, die einfach nicht sprießen wollen, wie auch ihr maßgeschneiderter Catsuit nicht mit ihrem Körper verwächst. Sie erkennt diese praktischen Begrenzungen mit nüchternem Bedauern an:„Nun gut, man geht Kompromisse ein. Das bleibt auch als Katze nicht aus. Dass ich keinen Schwanz, aber Füße und Sprache habe, das stimmt so. Für das Menschsein ist das kein Beleg.“
Wir verstehen ja leider nur die menschlichen Dramen. Vielleicht zappen wir bei YouTube gerade deshalb vom Kriegsschauplatz zu putzigen Kleintiervideos. Kommt uns die Autorin Caren Jeß darum mit Tieren? Keines ist ihr zu gering. Sie führt uns Unschuldslämmer am straffen Tüdelband ihrer Sprache durch den Streichelzoo zurück in die großen Gehege. Das der Katze Eleonore grenzt sie ein, indem sie erst einmal einen mächtigen Kratzbaum der theatralischen Verabredung in den Bühnenboden rammt: ‚Die Katze Eleonore ist keine komische Figur.‘
Oh. Okay. Caren kennt die Kollegen.
Dann geht es los mit einer von vielen stummen Szenen, die, so könnte man meinen, auch in Improvisationen hätten entstehen können:
Eleonore leckt sich das Fell, das sie, auch dies eine kursive Anweisung der Autorin, während des ersten Aktes nur in der Nacht trägt.
Wenn nun die gesprochene Sprache folgt, während Eleonore sich bei Tag den Mantel bürstet, beginne ich zu ahnen, warum die explizite Tat des Leckens und Bürstens den Worten vorangestellt wurde: Der Rhythmus der Sprache folgt dieser leckenden Bewegung.
Langes, gleichmäßiges Speichelstreicheln — ruhige, geordnete Gedanken. Zügiges, kräftiges Reinigungsreibungslecken einer bestimmten Partie — kürzerer, zyklischer Sprechrhythmus.
Assoziationen entspringen
den durchkämmten
Erinnerungsfell
-dern, auch am sich vor-
und zurückschiebenden
Schriftbild ist das
abzulesen.
Und dann, vielleicht ballt sich hier bereits das schwer zu erbrechende Katzenhaar in Eleonores Verdauungstrakt, kommt auch schon das Element der Lautschrift ins Spiel: [w]ab[w]ab[w]ab [w]lab [wa ʊ ].
Bald darauf folgt das Mittel des
.
einen Punktes pro Zeile: die Katze, die Dich in Grund und Boden starrt;
oder auch die Katze, die mitten in der Bewegung
. (= was ist das, eine Motte, eine Maus?)
innehält und sich dann übergangslos weiter leckt.
Und möglicherweise manchmal immer langsamer leckt,
schwanzwärts oder zu den Pfoten hin,
immer sachter, immer weicher sich leckt und labt und labert,
in immer kleiner werdenden Worten ist das notiert,
in unklar konturierten Textbatzen,
oder auch in katzenüblicher Arroganz das Interesse verliert,
selbst am von ihr selbst im Schwall Gesagten oder Gehörten,
am verdrucksten menschlichen Geräusch in seiner allzu systematischen Semantik … bis der ausgestreckte
Katzenkörper
im Sonnen- bzw. Scheinwerferlicht wegratzt,… [ʀːːː]
doch plötzlich
aufgeweckt
weiter leckt, lauert, dranbleibt, sprungbereit… während sich hier
und da auch mal ein
Gedanke vom Sprachflow
ablöst und sich wie ein
verdrängter Unwille am
Ende der Zeilen
druckvoll staut.
Das Angebot der Caren Jeß für die Darsteller*in der Katze Eleonore ist mehr als Text. Es ist buchstäblich szenisches Schreiben, ein Wortspiel, ein synästhetisches Sprachbild, eine Partitur von Klang und Rhythmus — und die visualisierte Abkehr Eleonores von der menschlichen Sprache, die sie, je mehr sie ihr misstraut, sporadischer und spielerischer benutzt, [ɴaː],
bis in den puren Klang hinein kindlich genussvoll vor sich hin lautet, [w],
bis sie zuletzt verstummt.
Und da kommt wieder die Erzählerin Caren Jeß ins Spiel, denn im dritten Akt geht es in der Natur und jenseits der figürlichen Sprache weiter: ihre Gedanken verfolgen das gleichmütige, alltägliche Fortleben der Katze, die Menschsein und Menschengedenken verweigert, ihre menschliche Hülle jedoch nicht abstreifen kann. Beschreibungen, akademische, poetische und prosaische, begleiten Eleonore nach draußen in den herbstlichen Garten, in den Schnee, in einen pseudofarbenblinden Frühling auf Schienbeinhöhe. Der Sound wird der einer hochwertigen Tierdoku.
Hier steht die Exekutive des Theaters vor einer paradoxen inszenatorischen Herausforderung. Denn die Beschreibungen der vollkommen wertfrei erzählenden Stimme will ich so dringend hören wie die kreatürliche Stille, die sie bedingt. Alles zu zeigen, wovon sie erzählt, droht in verschiedener Hinsicht die Grenzen des Darstellbaren zu sprengen. Da gibt es beispielsweise Erklärungen, die sich schlichtweg nicht spielen lassen.
Zugleich umreißen diese Grenzen wiederum den Kern der Sache:
Eine Schauspieler*in, die eine Katze spielt, die von zu vielen menschlichen Eigenschaften in ihrem Sein behindert wird, tut in einem künstlichen Raum so, als würde sie in eine grenzenlose, wildromantische Natur kacken. Die tut ja nur so.
Sie wird doch nicht...!
.
[wa ʊw]
Das ist Theater!
Was eingangs in kursiver Regieanweisungsschrift wirken mag wie ein wiederholter Übergriff auf die spielerische Gestaltung, erweist sich im letzten Akt als eine fortgesetzte Einladung zur sinnlichen Erfahrung
aus dem Gedankenspiel heraus.
Ich musste lernen, die Katze Eleonore mit Katzenaugen zu reflektieren. Und da sah ich das Identitätsdrama einer Hausraubkatze im Menschenmäuseloch, ein Drama von Isolation und Selbsterkenntnis.
Von Selbstbestimmung, Selbstliebe und höchst ambivalenter Selbstgerechtigkeit. Von gesundem Egoismus und fatalem Egozentrismus. Von Verantwortungslosigkeit. Von Freiheit und Unabhängigkeit und Entschleunigung und Behinderung und Verlorenheit. Von Sprachverlust und Lustgewinn. Von zusammenschnurrenden Horizonten und aus Scheiße wachsenden grauen(haft), roten Blüten.
Dieses Stück ist keine drollige Fabel, nur weil Fell und Federn darin vorkommen. Es ist nicht unbedingt eine Komödie, nur weil es Humor hat und Spaß macht. Es ist nicht harmlos, weil es konkret ist. Es ist keine strenge Übung, weil es in einem eigenen Code notiert ist. Und es ist nicht undramatisch, weil es in die Prosa stromert. Es gehört auch nicht zwingend auf die kleine Experimentierbühne unterm Dach, weil es ein gegenwärtiger Monolog ist. Die Katze Eleonore ist eine großzügige Einladung zum Spiel.
Caren Jeß ist eine spielerische Autorin, die wundervoll ungewöhnliche Bildwelten erfindet zur Überbrückung mitunter entsetzlich gewöhnlicher, furchterregender Abgründe. Sie ist (soweit ich das beurteilen kann) irre klug und eine virtuos kodderschnäuzige Verführerin. Sie schreibt scharfzüngig und komisch, freimütig und explizit expandierend. Sie ziert sich nicht, sie schnappt ihre Figuren am Zipfel und zieht sie mit zärtlichem Täterätä durch die Manege. Mit ironischer Lust formuliert sie Widersprüche und Grenzen aus. Sie folgt keinem Rezept, obliegt aber ihrer eigenen, strengen Geschmackskontrolle.
Sie gibt sich nicht auratisch-ominös und stellt keine postdramatischen Textflächen anheim,
sie macht ganz unverschämt konkrete, dramatische Vorschläge.
[w][wa][wa ʊ̯ ][wa: ʊ̯ ] [uːːː].
Das ist Kätzerisch.
Wiebke Puls, Mülheim am 4.5. 2024
Anmerkung des Verlags: Das digitale Redaktionssystems unseres Newsletter hat leider nicht zugelassen, die lautmalerische Verschriftlichung dieser Rede originalgetreu wiederzugeben. Wir verschicken gerne auf Anfrage eine PDF-Datei mit der sehr sehens- und lesenswerten Originalsetzung von Wiebke Puls.
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