Vergangene Woche feierte Gün Tanks Debüt-Roman DIE OPTIMISTINNEN Uraufführung am Maxim Gorki Theater in Berlin. Der Abend begeisterte Publikum und Kritik gleichermaßen und die taz findet: »Diese Produktion bietet sicher eine der sympathischsten Lektionen in jüngerer deutscher Geschichte, die man derzeit in Berlin bekommen kann.« Bettina Walther sprach mit Gün Tank über ihren Roman, die Geschichte dahinter und die kongeniale Umsetzung in der Regie von Emel Aydoğdu.
Du erzählst in Deinem Roman "Die Optimistinnen" von den Gastarbeiterinnen, die in den 1960er und 1970er-Jahren in die Bundesrepublik kamen, und dann hier für faire Löhne gekämpft haben. Wie kamst Du dem Thema auf die Spur?
Die Geschichte der Arbeitsmigration der 1960er und 1970er ist auf den ersten Blick männlich geprägt. Schauen wir aber genau hin: Wer schreibt Geschichte, wer darf davon erzählen und wer bestimmt, welche Bilder erzeugt und weitergetragen werden?
Ich trage ein anderes Bild in mir, habe andere Geschichten erzählt bekommen. Meine Mutter war Anfang der 70er Jahre zum Arbeiten nach Deutschland gekommen und mit ihr viele andere Frauen, die später bei uns zuhause ein- und ausgingen: Starke Frauen, mutige Frauen, die ganze Familien ernährten.
Ich begann, die Stimmen der vielen Frauen der ersten Generation, der Frauen of Color und der Schwarzen Frauen, die mein Leben prägten und bis heute prägen, aufzuzeichnen. Sie sind Zeug*innen der Zeit. Ihre Tränen, ihr Lachen, ihre Fäuste und ihre Erinnerungen sind Nährstoff für Multiperspektivität, für Erneuerung und für das Neu-Erzählen von Geschichte(n), sie geben Kraft.
Es waren Frauen, die dieses Land verändert haben. Mit jedem Gespräch wuchs ich und wollte mehr. Mehr von den Stimmen, die mich seit meiner Geburt in diesem Land begleiten. Ich führte noch mehr Gespräche, las Briefe und machte zusätzliche Recherchen.
Die sogenannten Gastarbeiterinnen haben keinen Platz in den Geschichtsbüchern zugeteilt bekommen. Trotzdem haben sie einen enormen Einfluss auf die deutsche Gesellschaft gehabt. Kannst Du diesen beschreiben?
Fast ein Drittel der migrierten Menschen waren Frauen, 1973 wurden 706.000 gezählt. Sie kamen als Arbeiterinnen und ernährten ganze Familien zu Hause. Die Frauen wurden nahe der Produktionsstätten in schrecklichen Verhältnissen untergebracht, für die sie aber bezahlen mussten. Sie wurden in „Leichtlohngruppen“ eingruppiert. Was sind diese Leichtlohngruppen? Nachdem die Gleichstellung von Mann und Frau im Grundgesetz verankert worden war, gab es seit den 1950ern die sogenannte Leichtlohngruppe, dieser Tarif galt für Menschen, die vermeintlich leichtere Tätigkeiten verrichteten. Die Leichtlohngruppen galten also theoretisch für alle, wurden aber nur für Frauen angewandt. Sie erhielten dadurch oft für dieselbe Arbeit 30 bis 40 Prozent weniger Lohn als Männer. Ganz abgeschafft wurde das erst in den 1980er Jahren. Aber oft ändern sich nur Namen und Inhalte bleiben ähnlich…
1973 war das Jahr der “Wilden Streiks“, die Bundesrepublik erlebte mehr als 300 solcher Streiks. Bei „Wilden Streiks“ tragen die Gewerkschaften den Streik nicht mit, beginnen ihn praktisch nicht.
Am bekanntesten ist sicherlich der Streik bei Ford, der sehr traurig endete. Anders machten die Arbeiter*innen des Neusser Automobilzulieferers Pierburg Schlagzeilen. Der Betrieb wurde lahmgelegt. Angeführt wurde dieser Protest von migrierten Arbeiterinnen. Die Frauen streikten vor allem für gleichen Lohn, für die Abschaffung der Leichtlohngruppe. Dass sie sich durchsetzen konnten, hat damit zu tun, dass die Frauen es schafften, ihre lebendige Solidarität untereinander auf die deutsche Belegschaft auszuweiten.
Mit Erfolg. Pierburg war der erste Betrieb, der die Leichtlohngruppe ganz aufhob. Und das zu einer Zeit, als die Gesetzgebung vorsah, dass die deutschen Frauen nur mit Erlaubnis des Ehemannes arbeiten durften. Wenn irgendeine Form von Care-Arbeit zuhause anstand, konnte der Mann eine Kündigung für seine Frau einreichen.
Wie war es für Dich, Deine Figuren auf der Bühne zu erleben?
Ein Teil der Figuren, die während meines Schreibprozesses in meinem Kopf sich bewegten und sprachen, mit mir lachten und weinten, auf der Bühne lebendig zu erleben, war wunderschön. Untermalt wurde das Stück mit Musik der Rebellion und Migration. Das Licht ging an und mit mir tauchten die Zuschauenden in die Geschichte „Die Optimistinnen“ ein. Wir sangen, lachten, weinten und tanzten (ein paar zumindest) zusammen, sogar Çay gab es..
Die vier Schauspieler*innen Ceren Bozkurt, Yanina Cerón, Aysima Ergün und Sema Poyraz haben die Bühne nicht nur zu einem historischen Ort gemacht, sondern einen Platz voller Mut und Solidarität. Aber auch das „Heute eingetaucht im Gestern“ fehlte nicht: „Der Witz ist, dass man sich nie öffentlich traut, darüber zu spekulieren, wie es wohl sein wird, wenn sie uns eines Tages deportieren“, sagte Aysima Ergün mit den Worten meiner Freundin Mely Kiyak, aus ihrer Gorki-Kolumne von vor fünf Jahren.
Ich danke der Regisseurin Emel Aydoğdu und den Schauspielenden sehr für dieses Erlebnis.
zurück zum Journal