Zur Zeit liegt Theben in Hamburg und dorthin reist der Theaterverlag in diesem Herbst alle zwei Wochen, um das ambitionierteste und vielleicht sogar größenwahnsinnigste Theaterereignis der laufenden Saison zu bestaunen: »Anthropolis - Ungeheuer. Stadt. Theben.«, bei dem gleich fünf Stücke unseres Autors Roland Schimmelpfennig uraufgeführt werden. Bettina Walther berichtet aus Theben.
Das Projekt ist groß, mutig und ungewöhnlich: Mit gleich einem ganzen Zyklus rund um die Geschehnisse in Theben hat Karin Beier, Intendantin am Schauspielhaus Hamburg, den Dramatiker Roland Schimmelpfennig beauftragt. Fünf griechische Tragödien waren zu bearbeiten und neuzudichten: DIONYSOS, LAIOS, ÖDIPUS, IOKASTE und ANTIGONE - eingerahmt von einem Prolog und einem Epilog.
Dabei hat Roland Schimmelpfennig einen modernen kritischen Blick auf die Antike und auf die griechischen Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides geworfen und auf die Ursprünge des europäischen Theaters. "Bei den griechischen Stoffen bewegen wir uns auf einem Minenfeld ganz unterschiedlicher Werte. Die Götter sind noch da. Der Mensch ist noch Tier, wird aber auch schon König. Ist sich halb selbst, halb schon der Gesellschaft verpflichtet."
Fünfmal inszeniert Karin Beier diese Neuschreibungen, mit dicht aufeinander folgenden Premieren alle zwei Wochen. Und begonnen hat es dann auch gleich mit einem Paukenschlag zur Spielzeiteröffnung, nein, einem ganzen Trommelkonzert bei PROLOG/DIONYSOS, mit Regen, einem Pferd, Taikotrommlern und vor allem einem grandiosen Ensemble. Ein gewaltiger Abend war da zu sehen, über den schmalen Grad zwischen Glücks- und Blutrausch, Wonne und Wahnsinn, Macht und Ermächtigung, der viele aktuelle Fragen verhandelt. "Was ist Fakt und was nicht? (...) Ist letztlich alles, was draußen auf dem Kathairon geschieht, Folge eines Massenwahns? Jedenfalls zeigt sich in "Dionysos" die Macht der Erzählung mehr als deutlich: Ob nun ein Gott oder nicht, vermag er kollektive Kräfte zu bündeln und zu entfesseln, die vor größter Gewalttätigkeit nicht zurückschrecken." (Sybille Meier)
Publikum und Kritik waren gleichermaßen begeistert und so schauten wir hochgespannt dem 2. Teil des Zyklus entgegen. Am 29.9. kam nun also LAIOS von Roland Schimmelpfennig zur Uraufführung.
Und wir behaupten mal: Das wird niemand, der dabei war, je wieder vergessen!
Das liegt an der grandiosen Lina Beckmann, die die riesige Bühne komplett ausfüllt, indem sie ganz einfach gleich alle Rollen spielt, den König von Theben, Laios, Iokaste, Pythia und sogar den Chor. Das liegt an der Regisseurin Karin Beier, der auch bei LAIOS wieder die Gratwanderung zwischen Komödie und Tragödie gelingt. Das liegt an der imposanten Bühne von Johannes Schütz, die für sich schon ein Kunstwerk ist.
Und es liegt nicht zuletzt an Roland Schimmelpfennigs herausragendem, vielstimmigem und poetischem Text LAIOS, mit dem er die verloren gegangene Tragödie von Aischylos einfach neu gedichtet hat, um darin virtuos alle möglichen Varianten dessen durchspielen zu können, was da in Theben vielleicht passiert sein könnte.
Am Ende riss es das Publikum von den Sitzen und es gab so nie gehörten tosenden Applaus für diese ganz große Theaterkunst, über die Simon Strauß in der FAZ schreibt, “So grandios kann es nämlich gehen - wenn Regie, Dramatik und Szenographie sich zusammentun, um einer genialischen Spielernatur die größtmögliche Bühne zu bieten.”
Fortsetzung folgt in Theben an der Elbe.
Wer jetzt gleich nach Hamburg aufbrechen möchte, um dieses Wunder selbst zu bestaunen: Das Schauspielhaus Hamburg veranstaltet ab November Marathon-Wochenenden, an denen dann alle 5 Teile des Zyklus zu sehen sein werden. Wer keine Karten mehr ergattert, kann sich mit unserem wunderschönen Buch »ANTHROPOLIS. Ungeheuer. Stadt. Theben.« trösten, in dem alle fünf Teile des Zyklus abgedruckt nachzulesen sind, inklusive eines Nachwortes der betreuenden Dramaturgin Sibylle Meier.
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