Katja Brunner

»ES IST ZU EINER EWIG BLAUEN STUNDE« Katja Brunner und der S. Fischer Verlag

»ES IST ZU EINER EWIG BLAUEN STUNDE« Katja Brunner und der S. Fischer Verlag(c) Diana Pfammatter

Spätestens als Katja Brunner ihrem Stück Die Hand ist ein einsamer Jäger die „ewig Blaue Stunde“ als Zeitangabe voranstellte, schien unumgänglich, dass S. Fischer Theater und Katja Brunner irgendwie, irgendwo, irgendwann zueinander finden mussten. All das ist jetzt und hier und heute und völlig richtig: Katja Brunner goes Fischer, oder um es mit Brunnerschem Übermut zu versuchen: It´s destiny, Schwesti!

 

Als Katja Brunner 2013 mit ihrem Debütstück von den beinen zu kurz den Mülheimer Dramatikerpreis gewann, war das eine Theatersensation. So jung und so aufsehenerregend hatte sie ein sprachliches Meisterwerk über Kindesmissbrauch aus der Opferperspektive geschrieben Gleichzeitig stellte sich die Frage, was diese großen Preise mit denen machen, die sie gewinnen, die gerade beginnen? Ersticken sie im Keim oder beflügeln sie? Katja Brunner hat die Challenge angenommen und die Grenzen der Kunst lustvoll getestet, immer weitergeschrieben, gleichzeitig anderes getrieben: u.a. als Dozentin, Rednerin, Essayistin, Inkognitorechercheurin, Hörspielregisseurin und Kunstfigur Loretta Shapiro. Ihr Werk umfasst mittlerweile mindestens zehn Theaterstücke, zuletzt wurde die feministische Shakespeareüberschreibung Richard Drei. Mitteilungen der Ministerin der Hölle am Schauspiel Köln uraufgeführt (Regie: Pınar Karabulut). Nicht nur die Süddeutsche Zeitung verglich sie mit der österreichischen Literaturnobelpreisträgerin: „Die Schweizer Autorin Katja Brunner, Jahrgang 1991, kombiniert in ihrem Hochgeschwindigkeitstext analytische Schärfe mit der Lust an der Sprachpiraterie. Das erinnert an Elfriede Jelinek und ist doch ganz eigen.“ DIE KUNST DER WUNDE (UA 2022, Schauspiel Leipzig, Regie: Katrin Plötner) wurde vom Deutschlandfunk als „Sprachkunstwerk“ gefeiert, Die Hand ist ein einsamer Jäger (UA 2021, Volksbühne Berlin, Regie: Pınar Karabulut) von der NZZ als „Manifest der wütenden Weiblichkeit“. DEN SCHLÄCHTERN IST KALT oder OHLALAHELVETIA (UA 2017, Schauspielhaus Zürich, Regie: Barbara Falter) wurde vom Spiegel als „Fest der großen Sätze“ beschrieben - um hier nur ein paar Feuilletonsplitter der jüngsten Stücke zu zitieren.

 


Bevor ich Katja Brunner zum ersten Mal treffe, stelle ich mir vor, dass sie fortwährend laute und herrliche Parolen ruft und mit ihrer Präsenz ganze Hallen füllt. Das Gegenteil ist der Fall: Katja Brunner gibt ihrem Gegenüber sehr viel Raum, hört konzentriert zu und denkt das Gespräch immer weiter, schraubt es in ungeahnte Höhen. Unsere erste Begegnung dauert mindestens drei Stunden, ist viel zu kurz, berauschend und von verwirrender Intensität.

 


Als ich Katja Brunner zum zweiten Mal treffe, kann ich sie nicht finden. Lost in Köln laufe ich sternförmig um unseren Treffpunkt herum, das Navi außer Gefecht, hin und wieder zurück, immer auf der Suche nach dem kürzesten Weg. „Jetzt bin ich wirklich gleich da.“, schreibe ich ihr fortwährend. Bis ich irgendwann verstehe. Zu Katja Brunner gibt es keine Abkürzung. Ihr Weg ist tastend, streichelnd, störend, anstrengend, respektlos, schmerzhaft, grell, hell, übermütig, tollkühn, laut und kämpferisch, verstörend komisch - trauen Sie Ihrem eigenen Humor nicht, er verrät Ihre wahre Gesinnung [1] -, und dann wieder ganz still, empfindsam, leise und sehr präzise. Der Weg ist ihr Ziel, es gibt kein Ankommen, dafür unterwegs viele Brüche: Aufbrüche, Umbrüche, Durchbrüche, Wutausbrüche.

 


Die Welt fühlt sich an, als ob der Sicherheitsabstand wegfällt, als ob all das, was passiert und drängt und dräut, schon viel zu nah an uns herankommt. Und wir gerade deshalb gut aufeinander aufpassen müssen. Dazu braucht es eine Künstlerin wie Katja Brunner, die Worte, Sätze, Rhythmen miteinander, ineinander, durcheinander klingen, ringen lässt, mit imposanter Klarheit Bilder baut, versaut, zerstört und völlig neu zusammensetzt, Gedankensausen von existentieller Wucht, Ohrenbrausen - ihr Schreiben „eine rasende, rollende Suada“ (nachtkritik), die sich über Theater, Publikum und schließlich auch die ganze Welt ergießt, ein feministischer Furor, der furchtlos fragt und zielsicher zeigt, was stört und stockt und schmerzt und bockt und brennt.

 


Während Katja Brunner so ruhig vor mir sitzt, stelle ich mir vor, wie sich in ihrem Kopf die Zeilen drängeln, überlagern, überschlagen müssen, wie die Gedanken immer weiterfließen, raus und über, weil schon wieder so viel Neues, weil durch Katja Brunners Kopf ein Stream - ach was - ein Dream of Consciousness tobt - Frau und Körper und wemgehörter [2] - so klug, so hart, so zart, so schneidend und genau, voller Freude am Nonsens in unablässiger Offence und Rage über die Nachlässigkeit dieser Welt und die Unmöglichkeit zu verstehen und vielleicht gerade deshalb getrieben von dem Wunsch, nichts und niemensch mit ihrem Schreiben unversucht zu lassen:

 

Für
die heilige Julia am Kreuze – geheiligt sei dein Name, dein Reich komme, dein Wille geschehe nicht, für die Schnecken, wegen Lohnungleichheit, für und wegen der Tretmühlen weiblichen Begehrens, für das Narrativ der frustrierten Lesben, für Burschenschaften, für Frauen über 55 (sogenannte Neutren), für Sonnenstrahlen auf kahlrasierten Häuptern, für blutende Innereien, für Festmähler, für Hildegard von Bingen, für Wetterschwankungen, für dich, sie, es, ihn, für uns.
Darstellende: Viele. Viele Quotenfrauen. Weniger bis keine Quotenmänner.
Es ist zu einer ewigen blauen Stunde. [3]

 Friederike Emmerling

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[1] DIE KUNST DER WUNDE

[2] Richard Drei

[3] Die Hand ist ein einsamer Jäger


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