In DIE SCHLACHT AM MACKIE CREEK, der schonungslosen neuen Komödie von Tracy Letts über Kleinstadtpolitik und reale Macht, entlarvt der Autor von EINE FAMILIE die hässliche Wahrheit hinter dem Gründungsmythos einer Kleinstadt und fragt jeden von uns, was wir bereit sind zu tun, um nicht zu den Verlierern der Geschichte zu gehören. Barbara Neu stellt das Stück vor, das im Februar seine deutschsprachige Erstaufführung am Staatstheater Wiesbaden hatte.
Anfang Februar hatte das neueste Stück unseres Erfolgsautors Tracy Letts, dessen Stück EINE FAMILIE an mehr als dreißig Bühnen gespielt wurde, am Staatstheater Wiesbaden seine deutschsprachige Erstaufführung: DIE SCHLACHT AM MACKIE CREEK (The Minutes) in der Regie von Daniela Kerck.
Der Schauplatz ist eine Gemeinderatssitzung in der fiktiven mittelamerikanischen Kleinstadt Big Cherry, die kräftig aufgemischt wird. Denn ein Neuankömmling beginnt, die falschen Fragen zu stellen: Warum ist jemand aus dem Gemeinderat auf mysteriöse Weise verschwunden? Warum wird das Protokoll der letzten Sitzung geheim gehalten?
Der Reigen der Figuren bietet einen humorvollen, wenig schmeichelhaften Blick auf das bürgerliche Leben im regnerischen Big Cherry. Um nur einige zu nennen: Mr. Oldfield, das dienstälteste und häufig verwirrte Ratsmitglied der Stadt Big Cherry; Mr. Blake, ein unideologischer Mann mit Alkohol im Atem und der Idee, das geliebte alljährliche Gründungsfest der Stadt mit Käfigkämpfen zu beleben; und Mr. Breeding, der gern über politisch nicht Korrektes lauthals lacht und der einfach nicht versteht, warum "normale Menschen" Geld für Dinge ausgeben sollten, die beispielsweise Behinderten den Zugang zum Stadtbrunnen ermöglichen.
Wie so oft ist es der Außenseiter, der uns den Weg in diese Welt weist. Mr. Peel ist das neueste Ratsmitglied und die Jimmy-Stewart-Figur der Geschichte. Er hat die letzte Sitzung verpasst, weil seine Mutter gestorben ist, was zu einer Flut von Beileidsbekundungen führt. Allerdings weigert man sich beharrlich, ihm die Frage zu beantworten, warum ein anderes Ratsmitglied, Mr. Carp, plötzlich seinen Sitz im Rat verloren hat. Und als Mr. Peel nach dem Protokoll verlangt, um sich über die Geschehnisse der Vorwoche zu informieren, ist es nirgends zu finden.
Seinem Gewissen folgend, schält Mr. Peel die Geschichte heraus, bei der es, wie wir erfahren, nicht um die Wahrheit, sondern um Macht geht. Die von Carp entdeckte, sogleich vertuschte Wahrheit über die Gründung Big Cherrys ist die, dass es statt der legendären Heldentat des historischen Lokalhelden Sergeant Pym, der ein von Indianern geraubtes Kind mutig den Barbaren entrissen und gerettet haben soll, tatsächlich ein unprovoziertes Gemetzel an indigenen Frauen, Kindern und Alten gab.
Diese Wahrheit darf nicht an die Öffentlichkeit geraten. Der gewiefte Bürgermeister Superba verteidigt in einer Rede das Festhalten an der Legende und damit den Erhalt des gut funktionierenden Gemeinwesens – „Geschichte ist das, was wir tun.“ Und „Dies ist eure Zukunft.“
„Worauf sich die versammelten Stadtratsmitglieder im Kreise aufstellen… und einen alten Indianertanz kapern, über den sie zurückstreben in die Obhut der Lüge. Und nach einigem Zögern reiht sich auch der Neue, der kritische Fragensteller Peel, in die Phalanx der stampfenden Status-Quo-Befürworter ein – bedrängendes Schlussbild einer Inszenierung, die man gesehen haben sollte.“ (Wiesbadener Kurier)
Und so gelingt es Tracy Letts ein Stück Trumpismus zu schreiben, ohne dass es auch nur im Geringsten um Trump geht. Der Präsident bleibt unerwähnt, aber in einer Welt, in der Trump Präsident wurde, zeigt DIE SCHLACHT AM MACKIE CREEK: Gewinnen bedeutet, die zugrunde liegenden Mythen zu kontrollieren, die unser Handeln in der Gemeinschaft bestimmen, während Verlieren bedeutet, in Vergessenheit zu geraten.
Die hoch konzentrierte, spannende Erstaufführung in Wiesbaden mit einem glänzend aufspielenden Ensemble von 11 Schauspieler:innen macht sich verdient um das Stück, das zum Nachspielen sehr empfohlen ist.
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