Was braucht der Mensch um glücklich zu sein? Und wie weit ist der Mensch bereit zu gehen? Was macht Liebe und Freundschaft aus und was sind Bedingungen für echte Euphorie? Zwei herausragende europäische Filme stellen sich den großen Fragen des Lebens, mit klugen Dialogen, komplexen Charakteren und viel Humor.
Während der amerikanische Film mit Aktionspektakeln und Superhelden versucht die vergangenen Coronajahre wieder reinzuholen, hat das europäische Kino zwei zarte, poetische und durchaus komische Filme herausgebracht, die sich mit den großen Fragen des Lebens beschäftigen. Und da die europäischen Filmemacher ihre großen Fragen lieber im kleinen Kreis verhandeln, dabei sind zwei wunderschöne Stoffe für die Bühne entstanden.
Zwei Menschen über vierzig haben sich auf die eine und andere Weise im Leben festgefahren. Martin, der Protagonist aus RAUSCH, hat mit seinen Jungs und seiner erfolgreichen Frau die scheinbar perfekte Familie. Aber er hat sich von ihr distanziert und in seinem Beruf als Kleinstadt-Lehrer fühlt er sich zunehmend leer und ausgebrannt. Alma, die menschliche Hauptfigur des Filmes ICH BIN DEIN MENSCH, ist beruflich ausgelastet und ausgefüllt. Im berühmten Pergamon Museum in Berlin wollen ihr engagiertes Team und sie anhand von Keilschriften beweisen, dass es schon in den babylonischen Schriften Poesie gab. Doch ihre Abende verbringt sie alleine vor dem Computer.
Einsamkeit ist das gemeinsame Leid der beiden Protagonisten, bei Martin durch Entfremdung von der Familie, bei Alma durch Abwesenheit eines Partners. Die Flucht aus dieser Einsamkeit tritt für beide in Form eines Experimentes in ihr Leben. Martin und seine Freunde versuchen mit zunächst dosierten Mengen Alkohol ihren Alltag aufzupeppen. Alma lebt als Versuchsperson mit einem humanoiden Roboter zusammen, der nach ihren Vorstellungen eines Traumpartners gebaut wurde. In beiden Versuchsanordnungen ist das Scheitern inhärent, denn bei beiden ist der Weg aus der Einsamkeit eine Betäubung der Gefühle. Sowohl der dauerhaft betrunkene Martin, wie auch Alma, die die Nähe eines programmierten Gegenstandes sucht, vermeiden die Konfrontation mit anderen Menschen und damit natürlich auch mit ihrer eigenen Unzulänglichkeit und Trauer. Dass die Wege bis zu dieser existentiellen Erkenntnis mit vielen warmen und komischen Szenen gepflastert sind, zeigt die große Kunst dieser Filmemacher*innen.
Maria Schrader und Jan Schomburg
Stoffrechte zu freien Dramatisierung
Alma ist nicht an „Liebe“ interessiert, auch nicht an „Schmetterlingen im Bauch“ oder „Vor Verliebtheit ganz wuschig im Kopf sein“. Und schon gar nicht teilt sie den Wunsch von 97% aller deutschen Frauen nach einem Bad in Rosenblättern, mit romantischer Musik und Champagner. Tom ist ganz verwundert, denn wünschen sich nicht alle Menschen den perfekten Partner?
Alma nimmt nicht ganz freiwillig an einer einzigartigen Studie teil. Sie soll drei Wochen lang mit dem humanoiden Roboter Tom zusammenleben, der ganz auf ihre intimsten Bedürfnisse programmiert ist und mit dem sie die statistisch größte Chance hat in der Liebe glücklich zu werden. In einem Ethikrat wird eruiert, ob diese Roboter heiraten dürfen, Pässe und eingeschränkte Rechte erhalten soll. Als Expertin soll Alma in einem Gutachten von ihrer Erfahrung mit ihrem Liebesroboter Tom berichten. Aber an Liebe ist bei der ersten Begegnung von Alma und Tom nicht zu denken, denn die Programmierung von Tom stützt sich auf die Wünsche der deutschen Durchschnittsfrau und zu denen gehört Alma nicht. Ihr Leben ist dominiert von ihrer Arbeit als Altertumsforscherin im berühmten Pergamonmuseum und der Pflege ihres demenzkranken Vaters. Toms Versuche,sie mit einem heißen Rumba, einem romantischen Brunch und schnulzigen Liebesbeteuerungen zu überzeugen,scheitern alle. Doch je mehr Zeit Alma und Tom miteinander verbringen, desto mehr kann Tom seinen Algorithmus an Almas Wünsche anpassen. Er wird humorvoller, zurückhaltender und weniger offensichtlich in seiner Annäherung. Er steht ihr in schwierigen Situationen bei und fordert sie dazu auf Neues auszuprobieren. Ihre Einsamkeit wird Alma erst in Anwesenheit Toms vollkommen bewusst. „Was kann daran falsch sein glücklich zu sein?“ fragt sich die unsentimentale Wissenschaftlerin plötzlich. Doch ist die Liebe zu einem Roboter nicht ein trauriges Selbstgespräch, ein verzweifelter Versuch der Einsamkeit zu entkommen und das traurige Schauspiel einer lächelnden Vollidiotin vor einem leeren Theatersaal?
ICH BIN DEIN MENSCH erzählt von einer Begegnung, die uns in der nahen Zukunft vielleicht erwartet. Es ist eine melancholische Komödie um die Fragen der Liebe, der Sehnsucht und was den Menschen zum Menschen macht.
für die Bühne bearbeitet von Thomas Vinterberg und Claus Flygare nach dem Film von Thomas Vinterberg und Tobias Lindholm
Der Lehrer Martin steckt tief in einer Midlifecrisis. Seine Frau spricht nicht mehr mit ihm, seine Kinder streiten sich nur und seine Schüler glotzen im Unterricht lieber auf das Smartphone. Zusammen mit drei Kollegen und Freunden beschließt er, die These, dass der Mensch mit 0,5 Promille im Blut am leistungsfähigsten ist, in der Praxis zu testen. Unter dem Deckmantel einer wissenschaftlichen Untersuchung trinken die Freunde im Alltag dosierte Mengen Alkohol. Und siehe da, es geht ihnen wirklich alles leichter von der Hand. Sie schaffen es, im Unterricht ihre Schüler zu begeistern und auch zuhause geht es vor allem bei Martin wieder bergauf. Doch als die Gefahr besteht, dass das Experiment aus dem Ruder gerät, schaffen es nicht alle,den Alltag ohne Suff zu meistern.
Vinterberg untersucht in RAUSCH nicht nur die Glorifizierung von Alkohol in unserer Gesellschaft, sondern erzählt vor allem eine Geschichte über Freundschaft, Selbstfindung und die Lust am Leben. Dabei fragt er, ob das Glück mit Abkürzungen von Dauer ist und ob der gelegentliche Kontrollverlust eine reinigende Wirkung haben kann
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