Mit Caspar-Maria Russo hat ein junger Autor das Parkett betreten, der sich selbstbewusst als Feminist bezeichnet. Höchste Zeit für Männer, sich zu fragen, wie sie sich von klassischen Geschlechterzuschreibungen befreien können. Friederike Emmerling beschreibt, wie Russo in seinem Stück GALA dieser und anderen Fragen der Ungleichberechtigung offenherzig nachgeht.
Ende 2020 schickt Caspar-Maria Russo eine erste Fassung seines Theaterstücks GALA und bat freundlich um eine Rückmeldung. Sein Name tauchte nicht zum ersten Mal bei uns auf. Er hatte sich 2019 für ein Praktikum beworben, sehr wortgewandt und mit einer entwaffnenden Offenherzigkeit. Ich wollte mich immer bei ihm zurückgemeldet und für sein Schreiben bedankt haben, auch oder gerade weil wir gar kein Praktikum zu vergeben hatten. Dass ich das nie gemacht hatte, fiel mir wieder ein, als Caspar-Maria Russo zum zweiten Mal Kontakt aufnahm. Dieses Mal als Autor. Und überraschenderweise hatte er dieses Mal etwas geschrieben, was den Begriff Offenherzigkeit in ein ganz anderes Licht rückte. Als ich sein Stück las, schockierte es mich mit seiner Drastik. Und es provozierte mich – und zwar mit seinem feministischen Ansatz. Trotzdem konnte ich es nicht aus der Hand legen. Es klangen Dinge an, die sich richtig anfühlten und befreiend. Ich lag nachts wach und dachte darüber nach, ob dieses Stück anmaßend oder ultimativ sei. Ähnlich wie Wedekind in Frühlings Erwachen beschreibt Russo eine Gruppe Heranwachsender, drei junge Frauen und zwei junge Männer. Und ähnlich wie bei Wedekind zerbrechen einige von ihnen an der ungeheuren Wucht des Erwachsenwerdens. Faszinierend an diesem Stück ist seine Übertragung ins 21. Jahrhundert. Die Zuschreibungen einer übersexualisierten und körperfixierten Gesellschaft haben sich so in die jungen Körper eingeätzt, dass es nicht gelingt, sie abzustreifen. Über allem steht die Sehnsucht nach einer neuen Männlichkeit. Mit Tommi schafft Russo den Prototypen eines jungen Mannes, der sich konsequent und mutig dagegen wehrt, ein klassischer Mann sein zu müssen. Tommi möchte Angst haben und weinen dürfen, er möchte zugeben, dass er sich schämt, er möchte schwach sein dürfen und zärtlich, er möchte nicht potent sein und stark und lässig. Neugierig will er sein dürfen und seinen eigenen Körper verstehen lernen:
„Hab gehört, dass man zart und frei sein kann. Dass es das gibt. Das geht. Ich kanns dir vielleicht zeigen. Hast du mal nachm Onanieren deine Eier befühlt? Dicker, dünner? Pochen sie? Wo verlaufen die Adern? Siehst du, dass sich der Ausfluss im Laufe des Zyklus verändert und dass er ganz glasig sein kann und klebrig und du kannst Fäden ziehen damit und dann ist er auch mal flockig, mit Punkten, weißt du das, Kalle? Er kann auch dick sein, weiß und dick und … und dein Sperma auch, Kalle. Weißt du das, Kalle?“
GALA ist eine anmaßende und manchmal fast unerträgliche Herausforderung. Es konfrontiert uns mit der Erkenntnis, dass noch ein langer Weg der Gleichberechtigung vor uns liegt. Und ja, das Stück hat ordentlich Pathos. Und ja, es will alles auf einmal. Und es ist bewundernswert schamfrei. Es versammelt Männer, die Feministen sind. Und Frauen, die sich nach Machos sehnen, und Machos, die sich nach Zartheit sehnen, und Frauen, die sich alleine gehören, und viele Männer, die ungemein stören. Offenherzig. Geschrieben mit einer kraftvollen und markigen Sprache. Und gnadenlos selbstkritisch. Als ich Caspar-Maria Russo einige Montage später in Wien persönlich traf, verstand ich, dass diese unbedingte Offenherzigkeit sein Kapital ist. Sie kann licht sein und hell, gleichzeitig scheut sie nicht die mit Scham besetzten Abgründe. Als Caspar-Maria Russo mich im Café Eiles bei einer Mélange offenherzig anstrahlte, wäre leicht zu unterschätzen gewesen, was für ein im besten Sinne schamloser Verfechter der Gleichberechtigung von Frauen und Männern vor mir saß. GALA ist der aufwühlende Beweis dafür.
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