Am Theater Basel kam Ende Oktober mit DIE MÜHLE VON SAINT PAIN von Anne und Lucien Haug eine moderne Version der alten Krabat-Sage zur Uraufführung. Antú Romero Nunes inszenierte die Geschichte um das Zerbrechen einer Familie, um Schuld und Schmerz und den Verlust von Musik als Schauspieloper. Ein Gesamtkunstwerk, das am Premierenabend für frenetischen Applaus sorgte.
Bettina Walther berichtet über das große bewegende Familiendrama, das die Geschwister Anne und Lucien Haug für das Theater Basel geschrieben haben.
Die Geschwister Simon, Judith und Ruben haben sich lang nicht gesehen. Nun treffen sie sich nach langer Zeit wieder, um ihre älteste Schwester Krabat zu begraben, die Selbstmord begangen hat. Zwei Jahrzehnte sind vergangen seit dem Ende der gemeinsamen Kindheit, an die jedes der Geschwister sehr eigene Erinnerungen hat. Erinnerungen an ein märchenhaftes Zuhause in einer alten Mühle, die irgendwann mal erfüllt war von Musik und Liebe. Bis die Mutter bei der Geburt des jüngsten Bruders starb und damit die Musik. Denn die verbot der Vater in seiner unendlichen Trauer. Keine Musik an sonnigen Tagen, keine Musik an wolkenverhangenen Tagen, keine Musik niemals mehr und erst recht nicht am Geburtstag von Ruben, dem Todestag der Mutter. So wird ihr Zuhause zur Mühle des heiligen Schmerzes, in der die Kinder sich selbst überlassen bleiben. Manchmal schließen sich die Geschwister in einer Kammer ein und singen ganz heimlich stumm - eingeschlossen in Dunkelheit und Schmerz. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag, wieder ist es Rubens Geburtag, als ihr Vater sie beim Singen erwischt. Es kommt zur Katastrophe – ein Kampf zwischen den Kindern und dem Vater entbrennt, die Mühle fängt Feuer und der Vater stirbt. Um ihre Geschwister zu schützen, nimmt Krabat alle Schuld allein auf sich. Während die Geschwister in die Welt und in die Freiheit ziehen und die Mühle hinter sich lassen, bleibt Krabat einsam im Gefängnis zurück.
Nun werden am Grab der Schwester die vielen Erinnerungen wieder wach, denn Krabat erscheint ihnen und führt sie zurück an den Ort ihrer Kindheit, in die alte Mühle. Hier durchleben sie nochmal, was sie einst aufs Engste verband und dann unendlich weit auseinander katapultierte.
Anne Haug und Lucien Haug sind selbst Geschwister, die darüber hinaus eine enge Arbeitsbeziehung verbindet. Im Auftrag des Theater Basel haben sie gemeinsam die alte sorbische Krabat-Sage weitererzählt und dabei ein sehr berührendes modernes Drama um elternlose Kinder geschrieben. Eine Familiengeschichte, die von Gewalt und Schmerz handelt und davon, wie sich Schuld von einer Generation auf die nächste vererbt. Und zwar, wie Anne Haug sagt, unfreiwillig. „Du hast mit deiner Familie zu tun – ob du willst oder nicht. Wir haben uns die Frage gestellt, inwiefern man sie braucht, um sich abzugrenzen oder genau zu definieren als der Mensch, der man ist.“
Krabat und ihren Geschwistern ist es scheinbar gelungen, die Mühle hinter sich zu lassen, alle auf ihre eigene Weise. Simon hat eine eigene Familie gegründet, Judith als alleinerziehende Mutter Karriere gemacht, Ruben reist als Musiker durch die Welt und Krabat büßte die Schuld aller im Gefängnis. Aber die Mühle bleibt, sie können ihr nicht entkommen. Und so geschieht das Unausweichliche: Ihre Lebenslügen werden offenbar, die Schuld ist nicht getilgt und die Geschichte wiederholt sich aufs Grausamste.
„An einem Ort, den ich DIE MÜHLE VON SAINT PAIN nenne, lebte vor nicht allzu langer Zeit eine Familie. Jede Familie lebt an dem Ort, den ich DIE MÜHLE VON SAINT PAIN nenne. Eine Familie, die nicht an dem Ort lebt, den ich DIE MÜHLE VON SAINT PAIN nenne, ist keine Familie. Wer also nicht an dem Ort, den ich DIE MÜHLE VON SAINT PAIN nenne, leben will, dem bleibt nichts anderes übrig, als keine Familie mehr zu haben. Aber niemand hat keine Familie. Niemand ist ein Komet. Niemand fällt einfach so vom Himmel, niemand.“
„Die Mühle von Saint Pain – nach Motiven der Krabat-Sage“ von Anne und Lucien Haug.
Auftragswerk für das Theater Basel. Uraufführung am 22.10.2021, Theater Basel.
Regie: Antú Romero Nunes. Mit Gala Othero Winter, Elmira Bahrami, Hilke Altefrohne, Jan Buthardt, Edgar Eckert, Barbara Colceriu, Álfheiður Erla Guðmundsdóttir
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