Vor einigen Jahren sprachen die preisgekrönte Lyrikerin und Prosaautorin Ruth Johanna Benrath und Friederike Emmerling über eine mögliche Inverlagnahme. Nun freuen wir uns, gleich zwei Stücke von ihr zu vertreten. Das Kinderstück im wald (da sind) und das abendfüllende Stück MICH MIR MERKEN sind poetische Klangkunstwerke – Installationen aus Worten. Ein Porträt.
In Form gegossenes Sprachspektakel
Im Sommer 2020 schickte Ruth Johanna Benrath mir eine Mail mit dem Vermerk, das sprachlich und inhaltlich radikale Kindertheaterstück, auf das ich seit Jahren gewartet hätte, sei jetzt da. Hätte übrigens auch gleich den Kaas-und-Kappes-Preis gewonnen. Ob ich an einer Lektüre interessiert sei. Wie hätte ich da widerstehen können? Schon vor einigen Jahren sprachen wir über eine Zusammenarbeit, unsere Begeisterung für die Autorin war groß. Weil die Theatertexte uns aber bei weitem nicht so radikal wie ihre außergewöhnlichen Hörspiele erschienen, sagten wir für den Moment ab. Gleichzeitig bat ich sie, an uns zu denken, falls sie auch mit ihren Theatertexte irgendwann einmal diese Richtung einschlagen wolle.
Zum Glück hat sie an uns gedacht, denn im wald (da sind) ist wirklich ein außergewöhnliches Kindertheaterstück geworden. Mit konzentrierter Knappheit zeichnet sie das Bild einer Familie, die aus der Stadt in den Wald flieht und sich mit sich selbst und ihrer Rolle im Kreislauf der Natur auseinandersetzen muss. Sie stellt die Perspektiven der Tiere und die der Kinder gegenüber, schafft über Klang und Worte Dynamiken der Gemeinschaft und des Ausschlusses und ist dabei so komisch, dass die Lektüre bei aller politischen Relevanz herrlich lustig ist. Es hat uns nicht verwundert, dass sie für dieses Stück den niederländisch-deutschen Autorenpreis für Kinder- und Jugendtheater gewann, weil es sich schweren Themen mit Leichtigkeit und Humor, aber auch mit großer Ernsthaftigkeit und ausufernder Fantasie nähert.
Die Texte von Ruth Johanna Benrath sind Klangkunstwerke. Installationen aus Worten, die durch das Zusammenklingen ein filigranes Netz aus Sprachlauten weben. Sie schafft Verdichtung über herantastende, sich ausbreitende und berührende Spracherlebnisse. In ihrem Theaterstück MICH MIR MERKEN (das 2015 vom SWR urgesendet wurde) beschreibt sie den Beginn einer mütterlichen Demenz. Mutter und Tochter sprechen neben- und miteinander, ihre Stimmen teilen sich auf in innere und äußere Sprache. Was zuerst nur ahnbar ist, eine Verschiebung in Wahrnehmung und Erinnerung, konzentriert sich im Verlauf zu einer Symphonie des Assoziativen. Die Gedankensprünge der Demenzkranken führen auf ganz eigenen Wegen durch ihr Leben. Ruth Johanna Benrath schält die wertvollen Momente des Vergessens mit sprachlichem Feingefühl heraus und verhilft ihnen somit zu berührender Schönheit.
Es verwundert nicht, dass Ruth Johanna Benraths Texte so erfolgreich im Hörspiel sind, 2020 wurde ihr Klangkunsthörspiel GEH DICHT DICHTIG! als Hörspiel des Jahres von der Jury der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste ausgezeichnet. Am Theater ist die preisgekrönte Lyrikerin und Prosaautorin bislang noch nicht ganz so bekannt. Doch das wird sich ändern. Weil es bei ihrem Schreiben um Körper geht, die durch Sprache, Worte, Laute lebendig werden. Und weil diese Genauigkeit im Umgang mit Sprache ein Theater der Körperkonzentration ermöglicht, ein in Form gegossenes Sprachspektakel. Und weil erst das Theater in der Lage sein wird, diese faszinierend sprachgebundene Körperlichkeit auch über das Hören hinaus sichtbar zu machen.
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