Friederike Emmerling stellt Milena Michalek vor und berichtet über die erste Begegnung zwischen Autorin und Lektorin. In ihrem Kurzstück DAS HIER zeigt sich Michaleks verblüffende Begabung für Sprache, Brisanz und Humor. Die Unbedingtheit ist es, die über das Schreiben hinaus fasziniert. Eine Unbedingtheit, die trotz ihrer Radikalität zugewandt ist, die nicht ausgrenzend, sondern einladend ist, nicht höhnisch, sondern ernsthaft, klug, lustig und übermütig.
Zu ersten Mal begegnete ich Milena Michalek im Herbst 2020 auf der Terrasse des Deutschen Theaters in Berlin. Es war ein spätsommerlich schöner Abend und fast schien es, als könne bald alles wieder normal werden. Das Deutsche Theater hatte aufgrund der Krise etliche Werkaufträge vergeben, so dass ein ganzes Wochenende lang viel Neues während der verschobenen Autorentheatertage zu sehen war. Unsere Begegnung war nur kurz, blieb mir aber in lustiger Erinnerung. Lustiger Small-Talk sollte ohnehin niemals unterschätzt werden. Als Milenas Stück Das hier zwei Abende später im Rahmen des Festivals gezeigt wurde, war ich schon wieder in Frankfurt und bekam gar nicht mit, welche Begeisterung sie damit hervorrief. Ein Glück schickte Bernd Isele, der Dramaturg der Autorentheatertage, mir ihr Stück mit dem Vermerk: Bitte lesen! Sehr spannend. Mit Leseempfehlungen ist das natürlich so eine Sache. Die Erwartungshaltung steigt so schnell, wie der Eindruck enttäuschend sein kann. Bei DAS HIER war das anders. Schon nach den ersten Seiten fing mein Herz an zu klopfen, spätestens bei dem ersten Monolog von Rosa Luxemburg geriet ich in helle Aufregung, und als ich zu dem großartigen Theater-Manifest kam, war es um mich geschehen. Denn es gibt eine große Merkwürdigkeit in unserem Beruf. Solange neue Texte noch nicht gelesen wurden, gibt es keinen Zeitdruck, weil wir ja noch gar nicht wissen, was uns entgehen könnte. Liest man dann einen Text, von dem man ahnt, dass er über sich hinausweist, kann es auf einmal nicht mehr schnell genug gehen. Jede Handlung wird getrieben von der großen Sorge, dass es eventuell schon zu spät für eine Zusammenarbeit sein könnte, weil ein anderer Verlag schneller war. Das ist pures Adrenalin. So auch bei Milena. Noch bevor ich das Stück zu Ende gelesen hatte, versuchte ich, Kontakt aufzunehmen. Wir vereinbarten einen Telefontermin. Und das ist natürlich auch so eine Sache. Das erste Gespräch ist entscheidend. Man kennt sich noch nicht und möchte einen Eindruck gewinnen, der über biografische Stationen hinausgeht. Könnte eine Zusammenarbeit möglich sein? Es ist ja auch ein Bewerbungsgespräch für uns als Verlag. In das Telefonat mit Milena wurde ich allerdings reingezogen wie in einen Strudel. Es ging um ihr Stück und gleichzeitig um alles. Bislang hatte sie sich noch nie als Autorin wahrgenommen, DAS HIER war ihr erstes Stück. Innerlich bebend dankte ich dem Deutschen Theater, sie mit der Auftragsarbeit zu diesem Schritt ermutigt zu haben. Dabei winkten schon ihre Regiearbeiten, die allesamt als kollektive Stückentwicklungen entstanden, mit dem Zaunpfahl ihres Könnens. Allein mit den Kosmos-Theater-Produktionen MÜTTER und SCHWIERIGES THEMA stand sie 2018 auf der Short-List des Berliner Theatertreffens und 2020 auf der Vorschlagsliste zum nachtkritik-Theatertreffen. In dem Theater-Manifest, das im Herzen ihres Stücks steht, fordert sie im Inhalt ein kluges, in der Form ein anarchisches und in der Produktion ein freundschaftliches Theater. Wenn man mit ihr spricht, ahnt man, dass diesen Worten Taten folgen könnten oder dass sie vielleicht auch einfach ihren Taten Worte folgen lässt. Diese Unbedingtheit ist es, die über das Schreiben hinaus fasziniert. Eine Unbedingtheit, die trotz ihrer Radikalität zugewandt ist, die nicht ausgrenzend, sondern einladend ist, nicht höhnisch, sondern ernsthaft, klug, lustig und übermütig. Überflüssig zu erwähnen, wie groß die Freude war, als Milena Michalek irgendwann Ja zu unserer Zusammenarbeit sagte. Wohin der Weg uns führt, ist ungewiss, aber eines ist sicher, genau so soll es sein. “Das Theater der Zukunft kann sich nicht mehr weißmachen, etwas zu wissen. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich zu öffnen. Das Theater der Zukunft ist offen.“ , so beschreibt Milena Michalek es in ihrem Text 1 Minute zur Zukunft. Dem können wir uns nur anschließen. Machen wir uns doch einfach gemeinsam auf den Weg.
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