Ewald Palmetshofer

„wurd je ein König so entköniglicht wie ich“ – Pınar Karabulut inszeniert EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe als Online-Serie am Schauspiel Köln

©Screenshot/Schauspiel Köln

Fast ein ganzes Jahr ist es her, da kam die Saison 19/20 in voller Fahrt plötzlich zum Halten. Das digitale Angebot der Theater hat sich im Laufe dieser Zeit wesentlich erweitert. Dramatik dringt durch Glasfaserkabel in unsere Wohnzimmer. Barrierefrei und innovationsfreudig. Oliver Franke berichtet über Pınar Karabuluts Online-Serie EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe am Schauspiel Köln. #DramazonPrime #TheatralFilm #QueerCulture

 

Looking Back To Look Forward
Fast ein ganzes Jahr ist es her, da kam die Saison 19/20 in voller Fahrt plötzlich zum Halten. Produktionen wurden verschoben und abgesagt. Probenkonzepte erstellt, angepasst und wieder verworfen. Wir im Theaterverlag erhielten erste Anfragen zu Live-Streaming und Streaming-on-Demand. Die Theater veröffentlichten Aufführungsaufzeichnungen aus aktuellen oder vergangenen Spielzeiten. Und heute? Überbrückungsmaßnahmen wichen neuen Formaten, die eigens fürs die digitale Umsetzung konzipiert wurden. Telegram-Aufführungen, 360°-Environment-Produktionen, Live-Schalten auf der Streaming-Plattform Twitch… Bühnenkunst goes digital. Sogar die Jahreskonferenz der Dramaturgischen Gesellschaft fand im Digitalen statt. #MozillaHub und #Discord sei Dank.

Die vergangenen Monate haben mir gezeigt, wie innovativ Künstler.innen trotz der verheerenden, existenzbedrohenden Situation mit neuen digitalen Formaten umgehen. Wie sich die Theater neue, interdisziplinäre Ausdrucksformen im Digitalen suchen, um mit ihrem Publikum im Austausch zu bleiben. Ersetzen können sie das Theater als Ort leiblicher Ko-Präsenz natürlich nicht, dennoch wurden kreative Lösungen gefunden, um das Theater mit all seinen ästhetischen Eigenheiten, erlebbar zu machen. Dramatik dringt durch Glasfaserkabel in unsere Wohnzimmer. Und das barrierefrei und innovationsfreudig.

Ob nun der Spielfilm DAS MASSAKER VON ANRÖCHTE nach einem Drehbuch von Wolfram Lotz (Theater Oberhausen) oder der Live-Film DER ZAUBERBERG (Deutsches Theater, Berlin) – die mediale Vernetzung der Theater zeigt uns, wie aus der Not eine Tugend gemacht wird. Theater und Film sind seit jeher symbiotisch miteinander verknüpft: Einerseits dringt der Film ins Theater ein (z.B. Erwin Piscator, Kay Voges) andererseits prägt das Theater/das Theatrale immer wieder die Filmästhetik (z.B. Georges Méliès, Peter Greenaway). Aktuell wird immer wieder mit Mischformen experimentiert, was nicht nur spannend fürs Theater ist, sondern auch neue Räume für die Dramatik und ihre Autor.innen eröffnet.

 


„Liebe bringt die Liebe nicht“ – Edward II. in einer Neudichtung von Ewald Palmetshofer
Dass wir uns mittlerweile weit entfernt haben von abgefilmten Aufführungen, hat auch das Schauspiel Köln eindrücklich bewiesen: Die Regisseurin Pınar Karabulut inszenierte EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe als exklusive Online-Serie bestehend aus sechs Folgen. Seit dem 12.02. wird jeden Freitag eine neue Episode veröffentlicht. Ein Digitales Programmheft liefert Einblicke in den Probenprozess und den historischen Kontext des Stücks.
Christopher Marlowes Königsdrama inspirierte den österreichischen Dramatiker Ewald Palmetshofer zu einer eigenen Neudichtung. In EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH kleidet er das Drama um Macht und Leidenschaft in seine eigene poetisch-rhythmisierende Sprache. Das Figurenpersonal wird auf ein Minimum reduziert. Der Konflikt zwischen Staatswesen und dem eigenen queeren Begehren des „Unheilkönigs“ im Brennglas betrachtet. Ebenso wie Derek Jarman in seiner Spielfilmadaption aus dem Jahr 1991 aktualisiert Palmetshofer den Stoff ohne den historischen Handlungsrahmen zu verlassen.
Gier und Missgunst prägen das politische Leben im englischen Königshaus um 1300. Das Hohe Haus und mit ihm ihre Lordschaften werden von egoistischen Ambitionen geleitet. Nach dem Tod seines Vaters tritt Edward II. die Thronfolge an. Kritisch beäugt und unter permanenter Überwachung der Lords und Peers stehend, holt Edward seinen Günstling und Geliebten Gaveston aus der Verbannung. Für viele ein an Dreistigkeit kaum zu überbietender Affront. Eine Anmaßung auch für Edwards Frau Isabella, die alles versucht, ihre Ehe und Edwards Herrschaft zu retten. Für Edward geht die Liebe über alles. Die fragile Monarchie droht unter diesem Ideal zu zerbrechen. Die bedingungslose Liebe zu Gaveston wird Edward II. mit seinem eigenen Leben bezahlen.

 


Queer Up The Stages The Screen! Pınar Karabuluts Online-Serie am Schauspiel Köln
Edward II. ist ein queerer Antiheld. Ein Herrscher, der das eigene Begehren vor alles andere stellt – ungeachtet aller Konsequenzen und gesellschaftlichen Stellung. Eine tragisch Liebender, der sich am Ende dem Staatsgefüge und den bigotten Moralvorstellungen des Königshauses unterwerfen muss.
Pınar Karabulut interessiert sich in ihrer Serie für Edwards unbedingten, alle Standesgrenzen überwindenden Willen zu lieben. Die Serie strotzt vor visuellen Referenzen aus dem queeren Kulturkanon: von John Waters über die New Yorker Ballroom-Szene, Telenovela-Intrigen à la Dynasty bis hin zu den Technicolor-Melodramen eines Douglas Sirk. Diese kulturellen Codes und Zitate fügen sich, zusammen mit Palmetshofers poetischer Sprache, zu einem sowohl filmischen als auch höchst theatralen Gesamtkunstwerk. Vom Telenovela-Overacting bis hin zu subtilen, emotionalen Momenten – die Schauspieler.innen können aus einer ganzen Bandbreite an Darstellungsformen schöpfen. Neben aller Opulenz und der hochreferenziellen Bildsprache reflektiert Karabulut zusammen mit dem Kölner Ensemble facettenreich queeres Begehren. Edward bringt Unheil, denn „es liebt der König gerne öffentlich“. Noch heute stößt homosexuelle Liebe - abseits vom gut verkäuflichen Pride- und Regenbogen-Merchandise - auf Abwehr in der Öffentlichkeit. Homo- und transphobe Gewalttaten gegen die LGBTIQ+ Community steigen auch hier in Deutschland weiterhin an. EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH feiert in sechs Folgen Queer Culture und das bedingungslose Lieben. Ein eindringliches Filmprojekt. Poetisch, klug, opulent, berauschend und mit großem Binge-Watching-Potenzial.

 

EDWARD II. DIE LIEBE BIN ICH von Ewald Palmetshofer nach Christopher Marlowe, Schauspiel Köln, Online-Premiere 12.02.2021. Weitere Informationen zur Produktion finden Sie hier.
Regie Pınar Karabulut | Bühne Bettina Pommer | Kostüm Teresa Vergho | Musik Daniel Murena | Video Leon Landsberg | Dramaturgie Sarah Lorenz | mit Alexander Angeletta, Nicolas Lehni, Justus Maier, Jörg Ratjen, Kristin Steffen, Birgit Walter


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