Blockwart
Herr Ostrich...
Ostrich
Guten Tag.
Blockwart
Wohin soll’s gehen?
Ostrich
Raus. An die frische Luft. In die Freiheit.
Blockwart
So.
Ostrich
Schönen Tag...
Blockwart
Haben sie eine Sondergenehmigung?
Ostrich
Bitte?
Blockwart
Für das Verlassen des Hauses.
Ostrich
Ach so... nein, wozu? Das heisst ja, natürlich.
Blockwart
Kann ich die sehen?
Ostrich
Nein. (geht) Die können sie leider nicht sehen. Die stelle ich mir sonderbarer Weise selber aus.
Blockwart
Dann muss ich eine Meldung machen.
-
Ostrich
(kommt zurück) Wissen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber eines muss ich Ihnen sagen: Sie schauen nicht lustig aus.
Blockwart
So?
Ostrich
Wenn Sie versuchen würden zu lächeln, würden Sie sich gleich besser fühlen. Schauen Sie: (lächelt) „Dann muss ich eine Meldung machen!“ Haben Sie gesehen? Sie lächeln und wir beide wissen sofort, dass Sie nicht im Traum daran denken, ein Denunziant zu sein, so ein kleiner widerlicher Spitzel mit Besen in der Hand. Wir wissen dann beide, dass wir zur Spezies der Guten gehören. Versuchen Sie es.
Blockwart
Ich muss eine Meldung machen.
Ostrich
Nein. Das war’s noch nicht. Sie sind doch kein... Sie wollten ja nie ein... Blockwart werden. Das war ja nie Ihr Ziel. Tief drin waren Sie doch immer ein Poet, ein Unternehmer, ein Wissenschaftler, ein Kind, ein Narr, den Blick in die Ferne gerichtet, einen Fuss sorglos über den Abgrund schwenkend, immer im Aufbruch in die wundervolle Zukunft!
Blockwart
Nein.
Ostrich
Nein, Sie wollten keiner werden! Aber Sie wollen eine Meldung machen, ja! Wer will das nicht! Sie wollen der Welt verkünden, dass es gut ist!
Blockwart
(kramt in der Tasche) Nicht ganz.
Ostrich
Herr Blockwart, als Sie aus dem Bauch ihrer Mutter geschlüpft sind, damals, vor langer Zeit, waren Sie ein unschuldiges, wundervolles Geschöpf mit... einer unbekannten Zukunft voller Möglichkeiten... was schreiben Sie da?
Blockwart
(zieht ein Heft hervor, schaut auf die Uhr) Wie spät es ist.
Ostrich
Schreiben Sie „früh“. Es ist noch früh. Schauen Sie, da oben ist der Wald. Da ist niemand. Da gibt es einen wunderschönen Aussichtspunkt. Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen. Man sieht von dort aus über die ganze Stadt und bis zu den Bergen.
Blockwart
Das ist verboten.
Ostrich
Das wird Sie heilen. Sie werden sehen. Und wenn sie nach Hause kommen, werden Sie wissen, dass Sie kein Blockwart sind.
Blockwart
Sie wollen es nicht wahrhaben. Aber so ist es nun mal. Es gibt Dinge, die kann man nicht ändern. Schicksal. Sie sind Blockwart und wollen es nicht sein. Aber das nützt nichts.
Ostrich
Was? Sie! Sie sind Blockwart. Und müssen es nicht sein.
Blockwart
Herr Ostrich, kennen Sie jemanden, der kein Blockwart ist?
Ostrich
Natürlich, was für eine Frage!
Blockwart
Hier, in unserer Strasse.
Ostrich
Hier? Naja...
Blockwart
In der Stadt...
Ostrich
Natürlich. Meine Freunde...
Blockwart
Welche? Wann haben sie die zum letzten Mal gesehen?
Ostrich
Naja. Wir dürfen ja nicht raus, also gesehen...
Blockwart
Blockwarte, alle.
Ostrich
Niemals. Meine Freunde? Niemals. Sie wissen doch gar nicht, wer meine Freunde sind.
Blockwarte
Ich bin Blockwart. Ich habe sie hier rein- und rausgehen sehen.
Ostrich
Na und?
Blockwart
Und ich weiss, was aus ihnen geworden ist.
Ostrich
Aber das macht doch keinen Sinn. Das ergibt überhaupt keinen Sinn.
Blockwart
Gehen Sie nach Hause. Hier, nehmen Sie dieses Heft mit. Notieren Sie, wenn Sie verdächtige Bewegungen sehen.
Ostrich
Warum?
Blockwart
Vielleicht finden Sie ja noch einen, der kein Blockwart ist.
Blockwart
Und dann?
Ostrich
Dann melden Sie es mir.
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Pro Tag wird ein Mikrodrama veröffentlicht. Auf unserer Website befinden sich die vollständigen Stücke zur Ansicht. Einen kleinen Vorgeschmack bieten die "Teaser" auf Instagram und Twitter. Gerne senden wir aber auch pdf-Dateien zu; einfach theater@fischerverlage.de anschreiben. Wir freuen uns über alle Filme, Bilder, Dokumentationen dieses dramatischen Experiments, die mit uns geteilt werden. #dasdramaverbindet #dasdramalebt #dankanalle
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