Nicht nur die Demokratie verteidigt sich wie nie in der jüngeren Geschichte. Auch eine wachsende Sehnsucht macht sich breit. Nach der guten alten Zeit. Einer Zeit, die besser war. Einfacher. Klarer. Erfahrbar in der triumphalen Rückkehr Trumps. Doch der Ungehaltenen sind VIELE! und sie werden immer mehr. Zum Beispiel VIELE! ungehaltene Frauen, die ein starkes Gefüge aus Sprache, Tatkraft, Mut und Miteinander bauen. Friederike Emmerling berichtet.
141 ungehaltene Frauen* haben in diesem Jahr ihre Reden eingereicht. Mehr als jemals zuvor. Jede Rede ein Sprung: Überwindung und Offenbarung. Jede Rede, ein Versuch zu erklären. Jede Rede, eine Möglichkeit zu verstehen. Von jung bis alt. Von tolerant bis traditionell. Von gesund bis krank. Von einsam bis bedrängt. Ich bin VIELE! heißt Chaos, Widerspruch, Überforderung und Großzügigkeit.
Sechs Frauen wurden ausgewählt, ihre Reden – stellvertretend für alle anderen - am 10. Dezember 2024 im Kasseler Stadtverordnetensaal vor Publikum zu halten:
Felicitas Reinbacher
Anika Westermann
Alexa Rudolph
Corinna Huber
Delia Kassi
Alina Mathias
Sie schonen weder sich noch das Publikum, wenn sie von Erfahrungen sexueller Gewalt sprechen, von einer Krebsdiagnose und der Vergesslichkeit des Alters, von einem Kind mit schwerer Behinderung, queeren Lebensrealitäten und realen Ängsten angesichts des Rechtsrucks in Deutschland.
25 Reden werden im Februar 2025 außerdem in der S. Fischer-Anthologie Ich bin VIELE! Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen publiziert. Und viele weitere Reden können ab dem 10. Dezember 2024 auch unter www.ungehalten.net eingesehen werden. Dort wuchert unaufhaltsam und herrlich ungehalten ein weiblicher Kosmos aus Sprache, eine Gesellschaftsanalyse aus Perspektive der Frau. Mehr als 400 Reden wurden seit 2021 eingereicht. Und es werden jedes Jahr mehr.
Wir laden wieder sehr herzlich zu der Veranstaltung am 10. Dezember 2024 ins Kasseler Rathaus oder zum Videostream unter www.ungehalten.net ein. Alle Detailinformationen sind dort ebenfalls zu finden.
Ich bin VIELE!
*Der Begriff Frauen meint im Kontext des Ungehalten-Projekts der Stiftung Brückner-Kühner und des S. Fischer Theaterverlags alle Menschen, die sich als Frauen identifizieren. Das Wort Frau soll als Einladung verstanden werden, nicht als Ausgrenzung. Es ist genug Platz in diesem Wort, um all jenen eine Zugehörigkeit zu geben, die sich im Kontext des Weiblichen bewegen. Dieser Kontext ist wichtig, weil sich anhand der weiblichen Vielstimmigkeit zeigt, wie unterrepräsentiert die verschiedenen Perspektiven von Frauen in fast allen Bereichen des Lebens sind. Deshalb können gar nicht genug Frauen ungehaltene Reden halten. Am besten widersprechen sie sich andauernd. Genau in dieser Ambivalenz liegt die Möglichkeit. (aus “Wir sind nicht machtlos“ in „Aber jetzt ist Schluss! Neue ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“, FTB, Frankfurt am Main 2024)
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